Meinung Korrekte Rechtschreibung wird zur Machtfrage

Meinung · Korrekt schreiben zu können ist eine Basiskompetenz zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wer Grammatik und Orthografie vernachlässigt, vernachlässigt nicht nur ein Kulturgut, sondern beraubt die Kinder ihrer Chancen.

 Eine Schülerin macht Rechtschreibübungen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält Rechtschreibunterricht für nicht mehr so wichtig wie früher.

Eine Schülerin macht Rechtschreibübungen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält Rechtschreibunterricht für nicht mehr so wichtig wie früher.

Foto: dpa/Bernd Settnik

Sprache ist Macht. Dazu zählt auch das geschriebene Wort. Wenn der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs meint, dass ein „Grundgerüst“ an Rechtschreibkenntnissen genüge, alles Weitere könnten „kluge Geräte“ richten, dann will er damit entweder alle gleich schlecht machen oder dafür sorgen, dass Machtpositionen nur den Privilegierten vorbehalten bleiben.

In Baden-Württemberg und einigen anderen Bundesländern, dazu gehörte bis vor Kurzem auch NRW, war das schon längst Realität. Die Schreiben-nach-Gehör-Methode hat so einige Schülerjahrgänge in die Irre geführt, die die Fehler von einst nur schwer werden korrigieren können. Nur bei Eltern, die sich für die Leistungen ihrer Kinder interessierten, war sie von Anfang an verpönt. Migrantenkinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, wurden sogar zusätzlich benachteiligt.  Nun soll es der Rechtschreibung erneut an den Kragen gehen. Sich auf „kluge Geräte“ zu verlassen, ist zwar nicht verwerflich, die Gesellschaft deshalb der Dummheit preiszugeben, aber schon. Zudem sollten Schüler befähigt werden, Fehler zu analysieren. Ein „Ersetzen“-Knopf verleitet nicht dazu. Menschen sollten immer noch Herr der Geräte sein, nicht umgekehrt.

 Ein Kommentar von Fatima Krumm.

Ein Kommentar von Fatima Krumm.

Foto: Melanie Zanin

Andernfalls könnten in sämtlichen Fächern Standards abgeschafft werden, weil „kluge Geräte“ das Wissen für uns bereithalten. Wozu das Einmaleins, wenn der Taschenrechner alles kann? Und Vokabeln bräuchte auch niemand mehr pauken, das Smartphone übersetzt doch jedes Wort sogleich. Nur kann das kluge Gerät dies nur tun, wenn es korrekt eingegeben wird. Der Spruch: „Man muss nicht alles wissen, man muss nur wissen, wo es steht“ trifft auf vieles in unserer Wissensgesellschaft zu. Wenn allerdings die Grundlagen fehlen, um mit dem irgendwo Stehenden zu arbeiten, bringt das Wissen nichts. Wer im Wörterbuch bei F oder V blättert, um nachzuschauen ob Pferd mit ä geschrieben wird, wird dann nicht mehr verzweifeln, sondern eine Egal-Haltung annehmen. Und erst recht nicht mehr blättern.

Korrekt schreiben zu können ist eine Basiskompetenz zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wer Grammatik und Orthografie vernachlässigt, vernachlässigt nicht nur ein Kulturgut, sondern beraubt die Kinder ihrer Chancen. Es gibt Berufe, in denen Rechtschreibung nicht unbedingt die größte Rolle spielt. Doch ein sozialer oder beruflicher Aufstieg wird schon an fehlerhaften Bewerbungen scheitern. Rechtschreibkenntnisse werden zur Klassenfrage. Im Grunde genommen ist Kretschmanns Vorschlag, Rechtschreibung zur Nebensache zu machen, eine Idee, um Machtpositionen zu manifestieren und Aufstieg zu verwehren.

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