Meinung Kommentar zum Urteil im NSU-Prozess: Ein Schlussstrich verbietet sich in jeder Hinsicht

Zunächst einmal: Das Urteil gegen die Rechtsterroristin Beate Zschäpe und die vier Helfer aus dem NSU-Umfeld ist ein Beleg für die Leistungsfähigkeit des Rechtsstaats. Der Mammutaufwand war nicht nur berechtigt, sondern hat auch zu einem Ergebnis geführt, das über die juristische Bewertung hinaus breite gesellschaftliche Akzeptanz finden wird.

Beate Zschäpe sitzt und neben ihrem Anwalt auf der Anklagebank im Gerichtssaal.

Beate Zschäpe sitzt und neben ihrem Anwalt auf der Anklagebank im Gerichtssaal.

Foto: Peter Kneffel

Und bei den Betroffenen reißt es keine neuen Wunden auf — das ist schon ein Wert an sich.

Aber das Urteil allein genügt nicht, um das Versprechen einzulösen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel vor sechseinhalb Jahren in der Gedenkfeier für die NSU-Opfer gegeben hatte: „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen“, sagte sie damals. Und: „Es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann.“

Mit einem solchen Versprechen ist ein einzelner Strafprozess überfordert, vermutlich auch der Rechtsstaat als Ganzes. In seinen Händen liegen zwar die noch anhängigen Verfahren gegen weitere NSU-Helfer. Aber schon bei den vielen ungeklärten Fragen zum braunen Netzwerk des NSU sind die Grenzen zwischen juristischer, politischer und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung fließend.

Der deutsche Staat ist auf beschämende Weise schuldig geworden an den NSU-Opfern, indem er sie lange kriminalisiert hat, während Hinweise auf rechtsextreme Motive ignoriert wurden. Dieser Schuld kann er sich mit dem Münchener Urteil nicht entledigen. Ein Schlussstrich verbietet sich in jeder Hinsicht.

Ein Kommentar von Ekkerhard Rüger. Foto: Sergej Lepke

Vielmehr muss der Spruch des Oberlandesgerichts Anlass sein, jenseits der notwendigen weiteren Ermittlungen auch die Art und Weise der Migrantendiskussion wieder in demokratiewürdige Bahnen zu lenken. Denn statt gesellschaftlicher Abbitte bekamen Türken der ersten, zweiten und dritten Generation in den Jahren nach der NSU-Enthüllung aus den unterschiedlichsten Gründen in Deutschland vor allem wachsende Ablehnung zu spüren — als müsste sich so ein kollektives schlechtes Gewissen Entlastung verschaffen.

Das Urteil von München ist ein Mosaikstein im Kampf gegen den rassistischen Moder, der derzeit aus allen Ritzen dringt. Irgendeine Gewissheit, dass sich Ähnliches nicht wiederholen könnte, ist daraus nicht abzuleiten.

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