Meinung Videoüberwachung mit Gesichtserkennung – Nichts zu verbergen?

Meinung · Biometrische Gesichtserkennung an Bahnhöfen und Flughäfen soll für Sicherheit sorgen. Doch die Konsequenzen könnten schwerwiegend sein.

Bei der Diskussion um eine systematische Videoüberwachung mit Gesichtserkennung fällt einem sofort das Pro-Argument ein: Nur der Böse muss das fürchten, der Rechtschaffene hat nichts zu verbergen. Doch man muss nicht Orwells düsteren Roman „1984“ gelesen haben, man kann auch ins China des Jahres 2020 blicken. Da zeigt sich, was Überwachungstechnik in der Hand eines allmächtigen Staates bedeutet. Wer bei Rot über die Ampel geht oder einen Kaugummi ausspuckt – was der Kamera nicht entgeht  – büßt Punkte in seinem Social Score ein. Sein gesellschaftlicher Status sinkt. Das Leben wird härter, er kann zum Beispiel kein Zugticket mehr buchen.

Nun haben wir aber doch keinen allmächtigen Staat, lässt sich einwenden. Aber das gilt nur so lange, wie wir uns nicht einlullen lassen. Stellen wir dem Staat heute freigebig unsere Daten zur Verfügung, so wissen wir doch gar nicht, wie sie morgen genutzt werden. Wer sich in einem von Kameras überwachten öffentlichen Bereich bewegt, in dem sein Gesicht gescannt wird, kann sich nicht sicher sein, was mit der Aufnahme passiert: Wird sie gespeichert, mit anderen Informationen verknüpft, werden Bewegungsprofile der Person (ach ja, und auch ihrer Begleiter) erstellt? Werden Abgleiche mit Daten aus sozialen Netzwerken durchgeführt? Wird das Ganze auf Vorrat gespeichert? Schließlich lässt sich doch auch das Interesse des die Daten sammelnden Staates nachvollziehen: Wer weiß, wofür er diese in Bild und Wort gespeicherten Informationen noch wird gebrauchen können.

Das gesellschaftliche Fundament wackelt, wenn wir uns in der Öffentlichkeit nicht mehr frei bewegen können – ohne befürchten zu müssen, dass unsere biometrischen Daten gesammelt, gespeichert, verknüpft werden. Der Satz „Ich habe nichts zu verbergen“ bedeutet dann: „Ich tue, was von mir verlangt wird.“

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