Kommentar Ramelows trickreicher Schachzug gegen die Trickser

Meinung | Berlin · Es gibt keine Geschenke, in der Politik so wenig wie im Fußball. Wer den Elfer bekommt, schießt ihn, auch wenn ihn der Gegner unabsichtlich verursachte.

Kommentar: Ramelows trickreicher Schachzug gegen die Trickser
Foto: dpa/Martin Schutt

Es gibt keine Geschenke, in der Politik so wenig wie im Fußball. Wer den Elfer bekommt, schießt ihn. Und wem CDU und FDP so eine Vorlage geben, wie in Erfurt, der nimmt sie auf. Will man Bodo Ramelow etwa vorwerfen, dass er freiwillig auf das Ministerpräsidentenamt verzichten möchte? „Tricksend“ verzichtet, wie eine argumentativ ausgeknockte Anti-Ramelow-Zeitung schon schrieb?

Der Schachzug ist genial. Ramelows Linkskoalition wählt für den Übergang Christine Lieberknecht, CDU, als Ministerpräsidentin mit, um Neuwahlen zu bekommen. Die die CDU bundesweit für Thüringen selbst fordert, nur im Freistaat nicht, weil sie dort halbiert werden wird. Die Erfurter CDU konnte das Angebot, eine der ihren, noch dazu eine Erfahrene, zur Übergangs-Ministerpräsidentin zu wählen, kaum ablehnen. Sonst hätte sie ihre Glaubwürdigkeit komplett verloren. Nebenbei kitzelt Ramelow die Christdemokraten noch an einer besonders unangenehmen Stelle: Ihrem Kooperationsverbot mit den Linken.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

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Gratulation an Thomas Kemmerich, FDP, und seinen CDU-Bruder im Geiste, Mike Mohring. Statt Ramelow mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, die vorletzte Woche durch diese beiden Obertaktierer im Verein mit der AfD zum Preis eines bundesweiten Skandals verhindert wurde, bekommt Thüringen im Fall einer Neuwahl wahrscheinlich, Umfragestand heute, Ramelow mit einer rot-rot-grünen Mehrheitsregierung. Bestimmt gibt es irgendeinen Spruch von Laotse, wonach derjenige gewinnt, der die negative Energie anderer aufnimmt und für sich verwendet. Chapeau, Bodo.

Ramelow kann sich jetzt sogar noch als Retter des Vaterlandes ausgeben, als einer, der den unerträglichen Zustand des Patts im Parlament aus Gemeinwohlinteresse heraus auflöst und dafür uneigennützig eigene Ansprüche zurückstellt. Was zusätzliche Stimmen bringt, obwohl beides nicht stimmt. Denn auch bei einem neuen Wahlgang im bestehenden Parlament wäre der Linke nicht Ministerpräsident geworden, jedenfalls nicht ohne AfD-Stimmen, die er nicht will, und nicht ohne CDU- oder FDP-Stimmen, die er nicht bekommt. Der Fuchs verzichtet auf die Trauben, die im Moment noch zu hoch hängen. Und sagt: Ich tue es für die Natur. Schlauer Fuchs.

Noch freilich ist das Spiel nicht ganz zu Ende. Die CDU fordert nun eine komplette Übergangsregierung, mit allen Ministern und Ornat. Und einen Haushalt 2021. Letzteres ist verständlich, Ersteres nicht. Warum für 70 Tage mehr Minister ernennen als unbedingt nötig? Und warum sollen die Übergangsminister bei den anderen Parteien, anders als Lieberknecht, unabhängige Experten sein? Versuchen die Erfurter Christdemokraten hier einen Gegentrick, die Installierung einer „neutralen“ Regierung auf Dauer, unter ihrer Führung und mit den Stimmen des Linksbündnisses? Dann würden sie ihre strategischen Fähigkeiten erneut gewaltig überschätzen. Wahrscheinlich spielen sie nur noch auf Zeit. Das geht, wenn es unentschieden steht. Aber nicht, wenn der Spielstand so klar ist. In Erfurt zeigen die Zeiger auf Neuwahlen. Je früher sie kommen, desto besser für das Land.

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