Kommentar Karfreitag 2020: Eine Stille, die guttun könnte

Meinung · Um zu begreifen, wie sehr sich die Welt in den vergangenen Wochen verändert hat, genügt ein Blick zurück in den April 2019.

 „Stille Wasser“ heißt die Brunnenanlage in Dresden - und auch sie steht im Zeichen des Coronavirus.

„Stille Wasser“ heißt die Brunnenanlage in Dresden - und auch sie steht im Zeichen des Coronavirus.

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Damals machte der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert mit der Forderung Schlagzeilen, das Tanzverbot an Karfreitag gehöre abgeschafft. „Wer an dem Tag in die Disco gehen will, sollte das auch tun können.“ Käme dagegen in diesem Jahr noch jemand ernsthaft auf die Idee, erneut den Empörungsklassiker über vermeintliche Bevormundung durch religiös geprägte Konventionen aufzuwärmen? Die Auszeit für Tanzpartys, Konzerte und Sportveranstaltungen, sonst einem einzelnen Feiertag vorbehalten, ist zum gesellschaftlichen Normalfall geworden.

Der Karfreitag 2020 muss sich nicht mehr erklären. Sein Grundton deckt sich auf eigentümliche Weise mit einer Gesellschaft, die verunsichert ist und sich das Innehalten plötzlich auf viel breiterer Basis verordnet hat, als es einem religiösen Anlass je zugestanden worden wäre. Keine Tanzfläche, kein Rockkonzert, kein Bundesligaspiel für Wochen, vielleicht sogar für Monate.

 Ekkehard Rüger

Ekkehard Rüger

Foto: ja/Sergej Lepke

Aber dieser Stillstand in vielen Bereichen, hervorgerufen durch ein bedrohliches Virus, geht gerade nicht einher mit irgendeiner Form von Stille. Im Gegenteil, seine Ursache und die eingeleiteten Maßnahmen, um die Bedrohung in den Griff zu bekommen, schreien nach permanenter Erklärung, Einordnung und Prognose über denkbare Folgen in der Zukunft. Weil praktisch jeder Winkel des gesellschaftlichen Lebens berührt ist, wächst auch die Zahl der Perspektiven auf die Corona-Pandemie ins Unermessliche. Ein Land in monothematischer Dauerkommunikation.

Irgendwann aber stößt selbst die größte Aufnahmekapazität an ihre Grenzen. Dann herrscht in den Köpfen nur noch ein Informationsflirren. Davor sind selbst nachrichtenerprobte Journalisten nicht gefeiht. Wie war das noch mal mit der drohenden Rezession: Wird sie nun ganz fürchterlich oder gar nicht so schlimmm? Taugen Handschuhe und Mundschutz nun oder doch nicht? Was sagen Politiker A, Virologe B und Verbandsfunktionär C? Welche Berufsgruppe kommt jetzt noch aus der Deckung, weil sie bei den Folgen des Lockdowns bisher überhaupt nicht bedacht worden war?

In Paragraf 6 des Feiertagsgesetzes Nordrhein-Westfalen ist festgehalten, was an stillen Feiertagen wie Karfreitag, Allerheiligen, Volkstrauertag oder Totensonntag alles verboten ist. Alternativen zu benennen, ist nicht die Aufgabe von Gesetzestexten. Dabei wäre Funkstille für den Karfreitag 2020 vielleicht das Gebot der Stunde. Ein Tag ohne Tanz, Konzert und Sportspektakel, aber womöglich auch ohne Corona. Dem Kopf würde das guttun.

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