Leitartikel Justiz contra Kopftuch

Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. In Deutschland ist sie seit dem Zweiten Weltkrieg selbstverständlich — und wird darum meist erst richtig wahrgenommen, wenn ein Kopftuch ins Spiel kommt. Dürfen Lehrerinnen eines im Unterricht tragen oder nicht?

Mit dieser Frage haben sich jahrelang Gerichte Land auf Land ab befassen müssen, bis das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe schließlich Anfang 2015 in einem Rechtsstreit um das nordrhein-westfälische Schulgesetz urteilte: die Pädagoginnen dürfen. Dabei spielte aber auch eine Rolle, dass Lehrer im Dienst normale Kleidung tragen, nicht wie Richter, Staatsanwälte und Anwälte Roben, die ihre hoheitliche Tätigkeit für jedermann sichtbar machen.

Generalanwältin Juliane Kokotteine, Gutachterin des Europäischen Gerichtshofs, versicherte Anfang Juni dieses Jahres, das Tragen eines Kopftuches kann in bestimmten Fällen untersagt werden. Gerechtfertigt sei dies zum Beispiel, wenn der Arbeitgeber sichtbare politische oder religiöse Zeichen generell verbietet. Das Verbot dürfe aber freilich nicht auf Vorurteilen beruhen. Und schon sind wir in einem deutschen Gericht, in diesem Fall in Nordrhein-Westfalen. Der Arbeitgeber, also das Bundesland, handelt richtig, wenn er dieses religiöse Zeichen nicht auf den Richterbänken sehen möchte. An dieser Stelle ist die Grenze der Religionsfreiheit erreicht.

Um so unverständlicher ist das Urteil des Augsburger Verwaltungsgerichts, das wiederum einer Muslima, die als Rechtsreferendarin angestellt ist, Anfang diesen Monats das Tragen eines Kopftuches auf der Richterbank erlaubte. Das bayerische Justizministerium hat aber umgehend Berufung eingelegt. Dieser Streit geht in eine neue Runde und erinnert an die vielen Verfahren, die von Lehrerinnen angestrengt wurden. Er wäre wünschenswert, wenn im aktuellen Streit endlich eine bundesweit geltende Entscheidung getroffen wird — und Kopftücher von den Richterbänken verbannt werden.

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