Meinung Flüchtlings-Obergrenze - Reine Gesichtswahrung

Was passiert, wenn der erste Flüchtling an der Grenze steht, der die Höchstgrenze von 200 000 überschreitet? Er hat auch nach dem jüngsten Kompromiss von CDU und CSU weiterhin jedes Recht, Asyl zu beantragen oder sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention zu berufen.

Beides wollen die Unionsschwestern ausdrücklich nicht antasten.

Könnten sie auch gar nicht, denn weder würde irgendein Koalitionspartner das mitmachen, noch bekämen sie die Mehrheit für die erforderlichen Grundgesetzänderungen zusammen. Der Kompromiss vom Sonntag ist eine Wortgirlande. Die ehrlichere Formulierung wäre gewesen: „Wir wollen weiterhin mit vielen politischen Mitteln versuchen, den Zustrom in etwa auf jenem Niveau zu halten, das es 2016 gab.“ Da kamen nämlich 280 000 Asylsuchende nach Deutschland, was abzüglich der rund 80 000 Abgeschobenen und freiwilligen Rückkehrer ziemlich exakt 200 000 sind. 2017 wird es ähnlich sein.

Die von Angela Merkel verfolgte Politik, die von Türkei-Abkommen bis Abschiebungen aus einem regelrechten Instrumentenkasten besteht, hat bereits Wirkung entfaltet. Die AfD ist trotzdem gewählt worden, und das wird sich auch durch die neue Formulierung nicht ändern. Wer etwas gegen Flüchtlinge und Fremde hat, der findet in dieser Partei das Original, mit allem Drum und Dran, bis hin zur kompletten Abschaffung des Asylrechts. Die CSU ist da nur eine bemühte Kopie.

Das neue Unionspapier ist ein Lehrstück über Gesichtswahrung in der Politik. Horst Seehofer, der sich mit seiner Obergrenze völlig verrannt hat, kann zu Hause in Bayern sagen: Ich habe mich durchgesetzt, es gibt eine Höchstzahl. Und Angela Merkel kann sagen: Ich habe mich durchgesetzt, es gibt keine Obergrenze. Ein Kindergarten. Immerhin können nach diesem Theater nun endlich die Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen beginnen, um sich mit Wichtigerem zu beschäftigen — der Bildung einer neuen Regierung.

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