Meinung Fall Sami A.: Eine bittere Lektion in Sachen Rechtsstaat

Der Bürger weiß seine Rechte zu nutzen. Klagen bis zur letzten Instanz sind an der Tagesordnung, zum Beispiel wenn es um Steuerbescheide geht. Oder um Geschwindigkeitsmessungen. Heerscharen von Anwälten kümmern sich um so etwas.

 Werner Kolhoff.

Werner Kolhoff.

Foto: k r o h n f o t o . d e

Niemand empfindet das als Anti-Verkehrspolizei-Industrie. Das ist Rechtsstaat.

 Eine Statue der Justitia hält eine Waage in ihrer Hand.

Eine Statue der Justitia hält eine Waage in ihrer Hand.

Foto: David-Wolfgang Ebener

Nur beim Asyl soll das nicht mehr gelten, obwohl es hier um sehr existenzielle Fragen gehen kann. Jedenfalls dann, wenn jemand wirklich verfolgt wird. Was wiederum nur Gerichte feststellen können, manchmal eben erst nach mehreren Instanzen. Im Fall der Abschiebung von Sami A. haben Teile der Medien, einige Politiker und dann die vollziehenden Behörden den Rechtsstaat mit Füßen getreten. Wie man heute weiß, sehr absichtlich. Nun schlagen die Gerichte zurück und zwingen die Behörden, den Mann zurückzuholen. Obwohl er als Gefährder eingestuft ist. Es ist eine schlimme, aber verdiente Demütigung.

Interessant ist zu sehen, wie die Gedemütigten nun alle abtauchen. Zum Beispiel Alexander Dobrindt (CSU), der die Anwälte von Asylbewerbern vor kurzem noch pauschal als Anti-Abschiebe-Industrie bezeichnet hat. Oder Horst Seehofer (CSU), der sich jüngst freute, dass an seinem 69. Geburtstag genau 69 Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden. Von denen einer Selbstmord beging und ein zweiter auf Staatskosten wieder zurückgeholt werden musste, da auch seine Abschiebung rechtswidrig war.

Kleinlaut ist auch eine bekannte Boulevard-Zeitung, die ab April eine massive Kampagne für die Abschiebung von Sami A. gefahren hatte („Durchgreifen“), um jetzt scheinheilig zu fragen: „Wer hat Schuld am Chaos?“ Nun, unter anderem Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP), der geglaubt hatte, hier mal den starken Maxen markieren zu können und öffentlich Punkte zu machen. Da kennt er die Mechanismen des Medienmarktes schlecht. Jetzt wird ihm in der gleichen Zeitung vorgeworfen, den Gerichten wichtige Informationen vorenthalten zu haben. Stamp droht der Rücktritt, zu Recht. Es schweigen übrigens auch Christian Lindner (Stamps Parteichef) und Gerd Müller (CSU), die damals auf die Abschiebekampagne aufsprangen und dafür mit Berichterstattung belohnt wurden.

Nun wird Sami A. zurückkommen, früher oder später. Und das Rechtsempfinden der Bürger ist schwer gestört, weil er nicht nur abgelehnter Asylbewerber aus einem sicheren Land, Tunesien, ist, sondern vielleicht sogar wirklich ein ehemaliger Leibwächter Bin Ladens. Es ist eine bittere, aber notwendige Lektion. Wenn die Vorwürfe zutreffen, wird man ihn eines Tages schon noch loswerden. Dann aber legal. Viel wichtiger ist, dass hier Richter mit Erfolg darum gekämpft haben, dass nur sie in diesem Land die Urteile sprechen und ihren Vollzug anordnen, nicht die Politik und schon gar nicht die Medien. Die Staaten, wo das systematisch anders ist, sind die, aus denen Menschen fliehen.

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