Meinung Es gibt keine Pflicht zum Einknicken vor Erdogan

In einer mit großem Beifall aller Fraktionen bedachten Erklärung hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am Donnerstag erklärt, das Parlament bitte die Menschen in Deutschland um Verständnis, dass man die Prinzipien der Verfassung „auch bei begründeter Empörung“ anderen nicht verweigere.

Ulli Tückmantel.

Ulli Tückmantel.

Mit „andere“ meinte Lammert türkische Regierungsmitglieder, mit Prinzipien der Verfassung die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung sowie Meinungs- und Pressefreiheit.

Lammerts Erklärung ist ein für ihn ungewöhnlich grobes rhetorisches Foul. Denn es hindert niemand Erdogan daran, vor deutschen Gerichten zu klagen, seine Staatsmedien nach Deutschland hineinsenden zu lassen, und es fordert auch niemand ernsthaft, Erdogan anders zu behandeln, als unserer Recht es vorsieht.

Die Mehrheit der Deutschen ist lediglich der Auffassung, dass es keinen Grund für großzügige, freiwillige Zugeständnisse ohne Bedingungen und Gegenleistungen gibt. Und deshalb wird die Mehrheit der Deutschen der Bitte des ansonsten hoch geschätzten Bundestagspräsidenten nicht folgen. Dabei hat sie seit gestern das Bundesverfassungsgericht auf ihrer Seite, das festgestellt hat: „Soweit ausländische Staatsoberhäupter oder Mitglieder ausländischer Regierungen in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität in Deutschland auftreten, können sie sich nicht auf Grundrechte berufen.“

Dass das Gericht diese Erklärung in solcher Deutlichkeit überhaupt abgegeben hat, sollten Lammert und vor allem die Bundeskanzlerin als Stellungnahme zu ihrer Politik verstehen: Ihre Politik des fortgesetzten Einknickens folgt keinem rechtlichen Gebot. Im Gegenteil können das Benehmen Erdogans und seiner Minister als Begründung dafür dienen, warum Mitglieder ausländischer Regierungen weder von Verfassungs wegen noch nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts jemals einen Anspruch auf Einreise und die Ausübung amtlicher Funktionen in Deutschland bekommen dürfen.

Statt die Menschen in Deutschland um Verständnis für eine Politik zu bitten, die ausdrücklich weder rechtlich geboten noch alternativlos ist, ständig falsche Signale aussendet und im Ergebnis absehbar erfolglos bleibt, sollte die Kanzlerin diesen Kurs endlich aufgeben und die alte indianische Weisheit beherzigen: Wenn dein Pferd tot ist — steig ab.

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