Meinung Ein kleiner, aber wichtiger Schritt für den Opferschutz

Meinung · Die Krankenkasse sollen ab 2020 für die Anonyme Spurensicherung zahlen. Opfer müssen dann nicht gleich Strafanzeige stellen – was zu mehr Strafanzeigen führen könnte.

 Juliane Kinast

Juliane Kinast

Foto: Judith Michaelis

Für Unbeteiligte ist der Fall meist ganz einfach: Wenn eine Frau Opfer einer Vergewaltigung wurde, sollte sie so schnell wie möglich zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Allerdings zeigt die Erfahrung aus dem Alltag etwa der Frauenberatungsstellen: Nur ein Bruchteil der tatsächlich verübten Sexualdelikte gelangt in die Strafverfolgung. Hier kann die Anonyme Spurensicherung helfen.

Dass der Fall für Unbeteiligte so einfach aussieht, liegt vermutlich daran, dass die meisten beim Stichwort Vergewaltigung den bösen Fremden vor Augen haben, der in einer schummerigen Unterführung über eine Frau herfällt – und da hätte das Opfer doch eine Art Verantwortung zum Schutz anderer, an dessen Festnahme mitzuwirken. Aber in den meisten Fällen ist es ja der Partner, der Ex-Partner, ein Bekannter oder Kollege, vielleicht ein Verwandter. Gerade wenn eine emotionale Bindung zum Täter besteht, ist der Gang zur Polizei für viele Frauen und Mädchen oder Jungen schwer und in dieser akuten Phase der Verletzung, Enttäuschung, des Vertrauensbruchs nichts, dem sie sich gewachsen sehen. Aber selbst bei dem unbekannten Gewalttäter aus der Unterführung ist es – mit einem Mindestmaß an Einfühlungsvermögen – nachvollziehbar, wenn ein Opfer zunächst die körperlichen Folgen und den Schock verdauen will, bevor es Ermittlern das erlebte Leid haarklein schildert. Die Praxis zeigt: Es ist nicht selten, dass die Betroffenen Tage, manchmal Monate oder Jahre brauchen, um diesen Schritt zu tun.

Leider ist bislang die Kostenfrage für die Spurensicherung bundeseinheitlich nur dann geregelt, wenn das Opfer sofort eine Polizeiwache ansteuert: Dann zahlen die Strafverfolger – aber es gilt zugleich auch das Legalitätsprinzip: Hat die Polizei einen Anfangsverdacht für eine Straftat, so muss sie diesen verfolgen, ob das Opfer nun will oder nicht.

Genau das ist es, was in der Akutsituation nach einer Tat viele Vergewaltigungsopfer abschreckt. Die Anonyme Spurensicherung erfüllt so gleich mehrere Aufgaben: Sie wirkt stabilisierend für die Betroffenen, weil sie ihnen den Druck nimmt, in die Zukunft denken und schnell Entscheidungen treffen zu müssen. Und sie dürfte dennoch zu einer Steigerung der Anzeigen gegen Sexualstraftäter führen, weil mit etwas Abstand und dokumentierten Beweisen in der Hand viele Opfer doch die Stärke finden, gegen das Unrecht vorzugehen, das man ihnen angetan hat. Die ASS ist deshalb ein kleiner, aber ein wichtiger Schritt für den Opferschutz. Schon ab März 2020, heißt es, könnten die Kassen die Kosten übernehmen. Und wenn sich das Verfahren bewährt, könnten auch andere Gewaltopfer profitieren.

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