Meinung Diktatur am Bosporus

Als am Montag dieser Woche die gesamte Führung der Zeitung „Cumhuriyet“ ohne vernünftigen Grund verhaftet wurde, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin, die Bundesregierung sorge sich um die Pressefreiheit in der Türkei.

Zwei Tage später konnte sich die Kanzlerin dazu durchringen, die Entwicklung als „in höchstem Maße alarmierend“ zu bezeichnen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Deutschland daraufhin vor, Terroristen zu beherbergen. Mit der Festnahme wichtiger Oppositionspolitiker setzte Erdogan seinen Kurs der „Säuberung“ gestern fort. Und Berlin zeigte sich erneut sehr besorgt. Gemessen an dem, was in Ankara vor sich geht, ist das eine lächerliche Reaktion.

Der türkische Präsident verwandelt sein Land in eine Diktatur. „Cumhuriyet“ ist die älteste und renommierteste Zeitung der Türkei. Genauer: Sie war es. Wenn Berlin sich um die Meinungsfreiheit in der Türkei sorgt, kommt das schlicht zu spät. Es gibt sie nicht mehr. Seit dem Putschversuch im Juli hat Erdogan Zehntausende Kritiker inhaftieren lassen. Demnächst wird er den Ausnahmezustand nutzen und sich vom gleichgeschalteten Parlament die Einführung der Todesstrafe absegnen lassen. Und dann kommen die Todesurteile.

Angela Merkel, die EU und die Nato brauchen Erdogan. Er weiß das und nutzt seine Position so drastisch aus, wie es in Berlin und Brüssel wohl niemand erwartet hat. Ankara droht offen damit, das Flüchtlingsabkommen mit der EU platzen zu lassen. Deutschland und Europa fürchten, dass Erdogan Hundertausende Migranten Richtung Norden in Marsch setzen könnte. Wie effizient die Türkei ihre Rolle als Türsteher zu spielen vermag, zeigen die stark gesunkenen Flüchtlingszahlen. Niemand in der EU hat ein Interesse, diesen Trend wieder umzukehren. Der Preis dafür ist, tatenlos hinzunehmen, wie Demokratie und Menschenrechte in der Türkei mit Füßen getreten werden. Politik als schmutziges Geschäft.

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