Meinung Diesen Premier haben die Briten nicht verdient

Meinung · Rund 92 000 Mitglieder der konservativen Partei Großbritanniens haben Boris Johnson an die Macht in Downing Street 10 gehievt. Einen Luftikus, der sein Ego schon länger in der Politik auslebt.

 Boris Johnson, neu gewählter Chef der Konservativen Partei, zeigt bei seiner Ankunft am Hauptsitz der Konservativen Partei zwei Daumen nach oben.

Boris Johnson, neu gewählter Chef der Konservativen Partei, zeigt bei seiner Ankunft am Hauptsitz der Konservativen Partei zwei Daumen nach oben.

Foto: dpa/Aaron Chown

Den Leuten versprechen, was sie hören wollen, egal, wie es weitergeht, Feindbilder erzeugen, polarisieren, lügen und dabei selbst Spaß haben. Politik kann so einfach sein, wenn ihr die Folgen ihres Handelns für die Zukunft eines Gemeinwesens egal sind.

Nach den USA und Italien wird jetzt schon der dritte G7-Staat davon heimgesucht, und das ist ein schrilles Alarmsignal. Im Wettbewerb der politischen Systeme gewinnen Antidemokratien wie Russland und China die Oberhand, wenn sich die Demokratien selbst nicht mehr ernst nehmen.

 Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Foto: nn

Großbritanniens Parteien insgesamt, auch Labour, haben die antieuropäische Stimmung systematisch geschürt und Johnson so den Boden bereitet. Sie alle haben mit dem Feuer gespielt. Nun ist die Gesellschaft tief gespalten. Was sich auf der Insel breit macht, ist teilweise schon kein Nationalismus mehr, das ist schon übersteigerter Chauvinismus. Und das in einem Land, das mit dem Kontinent durch Tausende persönliche, kulturelle und wirtschaftliche Fäden verbunden ist. Und durch einen festen Tunnel.

US-Präsident Donald Trump ist tatsächlich mächtig, Johnson aber, ebenso wie Matteo Salvini in Italien, nur ein Gernegroß. Brexit zu britischen Bedingungen oder ohne Vertrag. Das ist sein simples Versprechen. Er mobilisiert damit Leute, denen in ihrem Hass auf Europa nahezu alles egal ist. Die Lage der Wirtschaft, der Frieden in Irland, sogar die Zugehörigkeit Schottlands. Johnson und seine Anhänger pokern hoch. Alles auf eine Karte.

Brüssel sollte sachlich bleiben, ruhig  – und stur. Es gibt keinen Grund, das Brexit-Abkommen neu zu verhandeln. Das ist kein Knebelvertrag, sondern mit London einvernehmlich formuliert worden. Das Abkommen entspricht europäischen und britischen Interessen gleichermaßen, lässt eine gute Kooperation für die Zukunft offen und sichert den Frieden in Irland. Johnson behauptet, man müsse nur genügend auf den Tisch hauen, um es zu ändern. Nun, man soll ihn hauen lassen, sogar über den 31. Oktober hinaus, wenn er diese Zeit braucht. Das beeindruckt in der Regel nicht den Tisch, sondern nur die Faust. Johnson hat vielleicht bei den Tories eine Mehrheit. Aber für einen No-Deal-Brexit schon im Parlament nicht mehr. Erst recht nicht im Volk.

Großbritannien ist eine Demokratie, die älteste der Welt. Irgendwann werden bei Neuwahlen oder bei einem zweiten Referendum auch die Bürger wieder mitreden können. Je klarer sich Europa verhält, umso eher wird das der Fall sein.

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