Die trotzigen Verfassungsrichter

Karlsruhe reicht Entscheidung zur Zentralbankpolitik weiter

Ein Kommentar von Peter Kurz.

Ein Kommentar von Peter Kurz.

Foto: Young David (DY)

Auf den ersten Blick wirkt er wie vornehme Zurückhaltung, der Richterspruch aus Karlsruhe zum Versprechen der Europäischen Zentralbank (EZB), notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kriselnder Länder zu kaufen. Scheinbar gehorsam beugt sich das höchste deutsche Gericht und reicht die Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof weiter. Sie ist endgültig Vergangenheit, die alte Juristenweisheit: Über dem Bundesverfassungsgericht gibt es keine höhere Instanz, sondern darüber wölbt sich nur noch der blaue Himmel.

Doch die Verbeugung vor dem Europäischen Gerichtshof ist in Wahrheit alles andere als gehorsam, sondern erfolgt eher trotzig. Es wäre nämlich auch eine deutliche Abfuhr der Kläger möglich gewesen: Eure Klage wird abgewiesen, die EZB-Politik geht in Ordnung. Doch so kam es nicht. Unmissverständlich bringen die deutschen Richter zum Ausdruck, dass sie das Versprechen der EZB für gefährlich und für rechtlich fragwürdig halten. Und dass diese Gefährdung nicht nur an europäischem Recht zu messen ist, sondern auch deutsche Verantwortungsträger wie der Bundestag dafür mitverantwortlich sind, weil sie ebendiese Gefährdung hinnehmen. Sollte die Finanzakrobatik der Zentralbank eines Tages schiefgehen, können die Karlsruher Richter sagen: Wir haben euch gewarnt. Aber noch mehr als dieser argumentative Selbstschutz steckt in diesem Urteil. Jetzt schwebt das Verfahren weiter, diesmal vor dem Europagericht. Die Rechtsunsicherheit bleibt.

Und inhaltlich? Hat sich nicht gezeigt, wie großartig die Ankündigung der EZB zum Anleihenkauf funktioniert? Sie musste bisher nicht einmal wahr gemacht werden, hatte geradezu beruhigende Wirkung. Doch muss das nicht so bleiben. Müsste eines Tages doch noch mit massiven Staatsanleihenkäufen reagiert werden, so hieße das: Es gibt einen europäischen Finanzausgleich, es kommt zu einer „erheblichen Umverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten“, wie es die Karlsruher Richter formulieren. Der europäische Steuerzahler und Sparer würde für den Schlendrian verschuldeter Länder in Haftung genommen — weit mehr, als dies durch die bisherigen Hilfspakete und die Folgen der Niedrigzinspolitik schon jetzt der Fall ist.

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