Meinung Deutsch-französischer Vertrag wider die nationalistische Seuche

Meinung · Einen schönen Beweis, warum ein deutsch-französischer Vertrag auch anno 2019 noch (oder gerade: wieder) sinnvoll ist, lieferten dieser Tage seine Gegner.

 Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), unterzeichnen den Vertrag.

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), unterzeichnen den Vertrag.

Foto: dpa/Oliver Berg

Mit dem Deutsch-französischen Vertrag wolle Deutschland nur wieder Vormundschaft über das Elsass erringen, giftete die französische Nationalistin Marine Le Pen. Und auf der anderen Seite des Rheins hieß es bei der AfD: Damit wolle Frankreich den Deutschen nur in die Taschen greifen. Es ist die Sprache von Annodunnemals. Das alte Misstrauen, der alte Hass.

Die Neufassung des Élysée-Vertrages von 1963 ist deshalb auch eine Art Not-Hochzeit. Schnell noch geschlossen, bevor solche Leute die Stimmung ganz dominieren – oder gar Macht bekommen. Vielleicht hat dieser Hintergrund auch die Art der Formulierung und Verabschiedung diktiert. Besonders souverän mutet es jedenfalls nicht an, dass man einem ähnlichen Abkommen der beiden Parlamente nicht den Vorrang gelassen hat und sich als Regierung vordrängelte. Und ebenso nicht, wie über die Unterzeichnungszeremonie entschieden wurde: ziemlich einsam von den Regierungschefs Macron und Merkel. Dabei hätte eine breite Beteiligung gerade bei diesem Vertrag dazugehören müssen. Denn die deutsch-französische Freundschaft ist in der Bevölkerung längst tief verankert. Tiefer, als ihr die Politiker offenbar zutrauen.

An dem neuen Vertragstext erstaunt, was auch nach 56 Jahren intensivster Beziehungen alles noch verbessert werden kann, was es also bisher nicht oder nur unzureichend gab. Gemeinsame Verteidigungsstrategien etwa oder die Abstimmung der Außenpolitiken. Ausbau der gegenseitigen Sprachangebote und Anerkennung von Schulabschlüssen. Erleichterte grenzüberschreitende Projekte auch in der Infrastruktur. Rechtsharmonisierung für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum.

 Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Foto: k r o h n f o t o . d e

Das alles bedeutet nicht die Aufgabe nationaler Grenzen und Identitäten. Es bedeutet im Gegenteil Sicherheit und kulturelle Bereicherung. Deutschland-Frankreich, das ähnelt künftig noch mehr einer Wohngemeinschaft, in der jeder sein eigenes Zimmer hat, in der man aber kooperativ und rücksichtsvoll miteinander lebt. Anders hat die Völkergemeinschaft auch global keine Zukunft.

Was man einzig bemängeln kann und muss an diesem Vertrag ist, dass sich beide Nationen nicht verpflichten, solche Kooperationsvereinbarungen auch mit ihren weiteren Nachbarn anzustreben. Deutschland zum Beispiel mit Polen. Wenn in einer Wohngemeinschaft nur zwei eng zusammenleben, erzeugt das eher Misstrauen. Die deutsch-französische Art von Nachbarschaft und Verflechtung sollte Standard werden in Europa. Denn ein besseres Mittel gegen Nationalisten als die Praxis friedlichen Zusammenlebens gibt es nicht.

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