Meinung Der Kampf gegen Clans ist gerade mal angepfiffen

Meinung | Düsseldorf · Nach 30 vertanen Jahren, in denen die deutsche Gesellschaft mit den Problemen der Clanmitglieder nichts zu tun haben wollte, sind sie das Problem dieser Gesellschaft. Ein Kommentar.

 Juliane Kinast

Juliane Kinast

Foto: Judith Michaelis

Bilder sind ja meist schief und Fußballvergleiche ohnehin strikt zu vermeiden. Aber im Ruhrgebiet, meint Essens Polizeipräsident Frank Richter am Rande des Clan-Symposiums, sei das eben doch mal erlaubt und so sagt er über die Bekämpfung der Clankriminalität: „Wir sind in den ersten Minuten der ersten Spielzeit.“ Also ganz am Anfang. Und das nach hunderten Spezialeinsätzen quer durchs Land.

In den vergangenen Monaten war der Einfachheit halber oft von libanesischen Großfamilien die Rede. Doch einfach ist bei diesem Problemfeld nichts. Es geht im Gros um eine Minderheit, die einst aus der Türkei in den Libanon floh und auch dort schon am Rande der Gesellschaft lebte, in den 80ern nach Deutschland kam und auch hier abgeschottet in einer Parallelwelt blieb, in der nur die Familie Schutz bot. Und einen gültigen Rechtsrahmen. Und Verdienstmöglichkeiten. Innenminister Herbert Reul (CDU) machte in Essen deutlich, dass drei Jahrzehnte lang nichts für die Integration dieser Menschen getan wurde. Was die kriminellen Machenschaften und das aggressive Auftreten nicht rechtfertige, aber doch im Ansatz erkläre.

Und es erklärt, warum jetzt nach Monaten über Monaten, in denen eine Razzia die nächste jagte, immer noch wenig gewonnen ist im Kampf gegen die festen Strukturen innerhalb der Clans. Und warum Reul bei jeder Gelegenheit betont, es könne nicht nur um Repression gehen, um das Problem zu bekämpfen. Es müsse auch Ausstiegsmöglichkeiten für junge Clanmitglieder geben, die eben nicht kriminell sein wollen. Anreize, um doch noch an dieser deutschen Gesellschaft teilzunehmen.

Es ist schwer sich vorzustellen, wie solche Angebote aussehen sollen, angesichts der Jahrzehnte alten Tradition, nicht dazuzugehören, der festen Verwurzelung in der Familie und selbstverständlich auch der Gewinnmarge, die deren kriminelle Teile versprechen. Aber klar ist, dass es sie geben muss. Denn angesichts des hohen Anteils staatenloser oder deutscher Clanmitglieder ist eine Ausweisung keine Option. Nach 30 vertanen Jahren, in denen die deutsche Gesellschaft mit den Problemen dieser Zielgruppe nichts zu tun haben wollte, ist sie das Problem dieser Gesellschaft.

Man werde einen langen Atem beweisen, beschworen es bei dem Symposium mit hunderten Teilnehmern aus NRW, aber auch anderen Ländern, die Akteure von Polizei und Politik. Und diesen langen Atem muss man ihnen wünschen. Trotz Drohungen gegen und Angriffen auf Polizisten. Trotz Einschüchterungen von Zeugen in Gerichtsverfahren. Und auch für eine Zeit, in der nicht mehr jede Clan-Razzia für große Schlagzeilen taugen wird.

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