Meinung Der ganz große Krach in der Union ist nur vertagt

Die Galgenfrist, die Horst Seehofer der Kanzlerin mit seinem schrittweisen Vorgehen bei der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze eingeräumt hat, kann als letzte Chance für Angela Merkel verstanden werden.

Zwei Wochen hat sie nun noch Zeit, um Seehofers Alleingang abzuwehren. Doch was dann? Das wissen beide vermutlich selbst nicht.

Seehofer sagt, es gebe einen Automatismus, was das Inkrafttreten seiner Maßnahmen angeht. Merkel erklärt gleichzeitig, den gebe es nicht. Dann droht die Kanzlerin erstmals mit ihrer Richtlinienkompetenz, während Seehofer darüber nur milde lächelt. Der Showdown um Merkels Kanzlerschaft ist also nur vertagt.

Warum sollte die Regierungschefin bis zum EU-Gipfel bewerkstelligen können, was ihr und anderen in drei Jahren nicht gelungen ist? Die Asylpolitik der EU ist trotz Quotenregelung bei der Flüchtlingsverteilung eine Farce. Und die Kanzlerin hat in Europa nicht nur Freunde, seitdem sie wegen der Eurokrise andere Länder mit ihrem Spardiktat gequält hat und dann die osteuropäischen Staaten zu Solidarität in der Flüchtlingsfrage zwingen wollte.

In dieser Gemengelage hat Merkel (noch) das Glück, dass weit und breit kein Kronprinz in Sicht ist, der sie beerben könnte. Das ist auch das Pech jener in der CSU, die ihren Sturz wegen der bayerischen Landtagswahl unverhohlen betreiben: Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Denn wer sollte es machen? Gesundheitsminister Jens Spahn hat in der CDU mehr Feinde als Freunde; Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bedeutete aus CSU-Sicht bloß eine Fortsetzung der ungeliebten Merkel-Politik. Auch hat sie sich mit ihrem Brief an die CDU-Mitglieder den Zorn der bayerischen Schwester zugezogen. Unter den Unions-Ministerpräsidenten wäre derzeit lediglich Daniel Günther eine Möglichkeit, aber der Schleswig-Holsteiner ist ein Frischling im Amt. Insofern hat auch das Personalproblem dazu beigetragen, dass Merkel in der vergangenen Woche die Palastrevolution im CDU-Teil der Bundestagsfraktion noch abwenden konnte.

Der eine traut der anderen nicht mehr über den Weg — und umgekehrt. Das ist gegenwärtig der Zustand der Union. Wie Merkel und Seehofer noch gemeinsam eine vernünftige Regierungspolitik zustande bringen wollen, falls der Krach irgendwie beigelegt werden kann, ist schleierhaft.

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