Erdogans Kalkül Der Brandstifter spielt Feuerwehrmann

Der türkische Präsident setzt auf eine militärische Lösung im Kurdenkonflikt

Wer sich gefragt hat, was der türkische Präsident Erdogan mit seinen Attacken auf den Islamischen Staat in Syrien und die kurdische Arbeiterpartei PKK im Nordirak im Sinn hat, ist nun klüger. Kurz vor dem Treffen der Nato-Botschafter in Brüssel hat der starke Mann in Ankara den seit zwei Jahren laufenden Friedensprozess mit den Kurden für beendet erklärt. Es geht ihm also darum, den mehr als 30 Jahre andauernden Konflikt mit der PKK mit Waffengewalt zu entscheiden. Ein Irrsinn.

Die Nato erklärt sich prompt solidarisch. Damit macht das Bündnis den gleichen Fehler wie die USA, die, anders als etwa Deutschland, die Türkei nicht zur Besonnenheit auffordern, sondern zu weiteren Bombardements ermuntern. Im Namen des Kriegs gegen den Terror, der seit 2001 jede Torheit zu rechtfertigen scheint. Offiziell wollen Ankara und Washington eine Sicherheitszone in Nordsyrien einrichten. Auf einem Gebiet entlang der Grenze zur Türkei, das gegenwärtig vom IS kontrolliert wird, auf das aber die Volksbefreiungseinheiten der syrischen Kurden (YPG) Anspruch erheben. Die Pufferzone gegen den IS soll in Wahrheit einen Kurdenstaat verhindern.

Auch innenpolitisch geht es Erdogan darum, den Einfluss der kurdischen Minderheit wieder zu begrenzen, nachdem die Demokratische Partei der Völker (HDP) bei den Wahlen im Juni überraschend die Zehn-Prozent-Hürde geknackt hatte und als vierte Kraft ins Parlament eingezogen war. Die HDP unterhält enge Verbindungen zur PKK und gilt zudem als Sammelbecken der Erdogan-Kritiker, linken und säkularen Kräfte im Land.

Im Zuge der rhetorischen und militärischen Offensive gegen die Kurden könnte die HDP und deren charismatischer Chef Selahattin Demirtas — der „kurdische Obama“ — böse zwischen die Fronten geraten. Beobachter spekulieren, dass Erdogan es auf Neuwahlen im Herbst ankommen lässt, um seiner konservativ-islamischen AKP wieder die absolute Mehrheit zu sichern, die sie im Juni verloren hat. Als starker Mann, der sein Land in Krisenzeiten auf Linie hält, hofft Erdogan auf verlorene Wählerstimmen. Allemal gewagt, wie zunehmende Proteste im Land zeigen. Viele Türken ahnen, dass der Feuermann Erdogan in Wirklichkeit ein Brandstifter ist.

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