Meinung Der Abtreibungsparagraf ist das falsche Signal

Meinung · Ein Bundestagsabgeordneter soll neulich gesagt haben, es sei unfassbar, wie plötzlich die Debatte um eine Kleinigkeit wie das Werbeverbot für Abtreibungen hochkoche. Aber: Hier geht es nicht nur darum, woher Frauen die Adressen von Ärzten bekommen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen: von Listen der Beratungsstellen (erlaubt) oder von den Internetseiten der Arztpraxen selbst (verboten).

Juliane Kinast

Juliane Kinast

Foto: Judith Michaelis

Es geht um mehr.

Es geht um das vermittelte Bild von Frauen und ihrem Verantwortungsbewusstsein. Die Verteidiger des Paragrafen 219a treibt angeblich der Schutz der Kinder an. Wovor? Vor den Müttern? Es glaubt doch kein Mensch, der bei Verstand ist, eine Schwangere könnte sich spontan für eine Abtreibung entscheiden, weil ein Arzt diese online in seinem Leistungskatalog aufführt. Nicht einmal, wenn sie großflächige Plakate und Kinowerbung für Schwangerschaftsabbrüche sähe – die im Übrigen gern verboten bleiben dürfen.

Die Sorge, mit einem Kippen des Paragrafen könnte ungeborenes Leben zu einem Zellhaufen herabgewürdigt werden, den zu beseitigen nicht mehr schwerfällt, ist unbegründet. Das Schwangerschaftshormon sorgt dafür, dass die Frau von Anfang an zu 100 Prozent schwanger ist und nicht nur ein bisschen; ab der sechsten Woche schlägt das Herz des Kindes, da gibt es endgültig nichts mehr zu deuteln. Deshalb sind Fehlgeburten für Frauen körperlich wie seelisch traumatische Erlebnisse; deshalb sind die ersten zwölf Wochen eine Zeit des Bangens und Hoffens für diejenigen, die ihr Kind wollen.

Im Grundsatz ist immer die Mutter die größte Verteidigerin des ungeborenen Lebens. In was für einer Lage müssen sich Frauen befinden, die sich trotzdem für dessen Ende entscheiden? Sie brauchen bestimmt vieles – aber nicht Politiker und ausgerechnet die rein männliche katholische Kirche, die ihnen erklären, ihr ungeborenes Leben sei doch schützenswert gewesen. Genau dieses Signal sendet ein Paragraf aus, der Ärzten eine schnöde Leistungsbeschreibung verbietet: Die Gesellschaft findet eure Entscheidung im Grunde falsch – auch wenn es Faktoren gibt, die sie ein Stück weit entschuldigen.

Es geht aber auch darum, dass die Debatte Versäumnisse der Politik kaschiert. Denn auf diese Faktoren hat sie – wenn man von Härtefällen wie Vergewaltigungen absieht – direkten Einfluss. Alleinerziehende in Deutschland tragen mit das größte Armutsrisiko, die Wahl für viele Schwangere außerhalb einer funktionierenden Paarbeziehung lautet: Abtreibung oder Hartz IV. Hier endlich Lösungen zu schaffen, wäre für die Verteidiger ungeborenen Lebens in der Politik ein lohnenderes Betätigungsfeld, als Mediziner zu kriminalisieren, die ihren Job machen: Frauen in Not umfassend zu beraten.

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