Meinung Die Grünen: Eine Regierungspartei im Wartestand

Meinung | Bielefeld · Für die Grünen läuft es aktuell optimal. Und so verwundert der jüngste Erfolg von Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dem Parteitag in Bielefeld nicht. Doch mit dem Erfolg geht auch eine große Bürde einher.

 Annalena Baerbock und Robert Habeck sind mit äußerst starken Ergebnissen an der Spitze der Grünen bestätigt worden.

Annalena Baerbock und Robert Habeck sind mit äußerst starken Ergebnissen an der Spitze der Grünen bestätigt worden.

Foto: dpa/Guido Kirchner

Bielefeld, das war einst ein heißes Pflaster für die Grünen. Hier stritt die Partei mit aller Härte über die Frage, ob die Bundeswehr in den Kosovo-Krieg ziehen soll oder nicht. Idealismus versus Realität. Das drohte die Grünen fast zu zerreißen. 20 Jahre ist das jetzt her. Und heute? Größer könnte der Kontrast kaum sein. Beim jüngsten Delegiertentreffen in Bielefeld herrschte viel Harmonie und Zuversicht, war die Partei ganz bei sich, schien sie vor Kraft kaum laufen zu können.

Die Rahmenbedingungen sind derzeit auch optimal. Ein politisch außerordentlich begabtes  Führungsduo, dem es in echter Teamarbeit gelungen ist, die verschiedenen Parteiflügel zu versöhnen, eine Bundesregierung, die mit ihrem Klimapaket weit hinter den Erwartungen nicht nur der Grünen, sondern auch führender Klima- und Umweltforscher zurückbleibt und eine weit verbreitete Sehnsucht nach Orientierung, die die Partei mit einem relativ klaren sozialökologischen Profil zu bedienen weiß. Da kann es auch nicht verwundern, wenn Annalena Baerbock und Robert Habeck aller antiautoritären Grünen-Tradition zum Trotz mit überragenden Wahlergebnissen bedacht wurden.

Ihr Mega-Erfolg ist freilich auch eine große Bürde. Das Öko-Thema muss kein Dauerläufer sein. Zumal in Zeiten einer sich spürbar abkühlenden Konjunktur. Um Wähler dauerhaft zu binden, müssen sich die Grünen thematisch verbreitern. Denn im Zweifel sorgt viele Bürger die Sicherheit ihres Jobs oder die Bezahlbarkeit ihrer Miete mehr als die Frage, ob der Kohleausstieg und der Abschied vom Verbrennungsmotor ein paar Jahre früher oder später kommen. Deshalb waren die Grünen in Bielefeld auch gut beraten, nicht nur Öko zu sein, sondern sich auch um das Wohnen und die Wirtschaft zu kümmern. Das Problem ist, dass den Grünen auf solchen Feldern immer noch sehr wenig Kompetenz beigemessen wird. In der allgemeinen Wahrnehmung sind sie eine Einthemenpartei. Es wird Zeit brauchen, bis sich das ändert. Wenn überhaupt.

So gesehen können sich die Grünen eigentlich nur wünschen, dass die große Koalition bald auseinanderbricht. Bis zum nächsten regulären Urnengang im Bund bleiben noch fast zwei Jahre Zeit. Und das erste Jahr davon ist arm an wahlpolitischen Höhepunkten.

Seit 2005 sind die Grünen gleich viermal in Folge als kleinste Kraft im Bundestag auf den harten Bänken der Opposition gelandet, obwohl es zwischenzeitlich völlig andere Wahlprognosen gab. So wie jetzt wieder. Der Wille, dieses Gesetz der Serie endlich zu durchbrechen und wieder mitzuregieren, ist bei den Grünen übermächtig geworden. Zumindest darüber herrscht absolute Gewissheit.    

 Ein Kommentar von Stefan Vetter.

Ein Kommentar von Stefan Vetter.

Foto: k r o h n f o t o . d e
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