Meinung Asylstreit - Eine muss Stärke zeigen, der Andere muss gehen

Wie einig die CSU sich hinter Seehofers Rumpelstilzchen-Aktion versammelt, zeigt erschreckend, wie wenig die bayerische Regionalpartei aus dem Ergebnis der Bundestagswahl gelernt hat - ein Kommentar von WZ-Chefredakteur Ulli Tückmantel.

Meinung: Asylstreit - Eine muss Stärke zeigen, der Andere muss gehen
Foto: Schwartz, Anna (as)

Deutschland hat jede Menge aktuelle Probleme. Zu den drängendsten gehören drohende Diesel-Fahrverbote in den Städten, auf die ein wirtschaftlicher Schaden kaum auszurechnenden Ausmaßes folgen würde, während die verantwortlichen Auto-Hersteller sich schamlos aus der Verantwortung zu stehlen versuchen.

Das Bürokratiemonster „Datenschutz-Grundverordnung“ belastet ausschließlich aufgrund deutschen Regierungsversagens (in allen Nachbar-Ländern läuft es nämlich undramatisch ab) das ganze Land vom Dax-Konzern bis zum Karnevalsverein.

In den Großstädten explodieren die Mietpreise und bedrohen längst auch die Lebensmodelle von Mittelschicht-Familien mit ordentlichem Gehalt, die Wohnraum-Konkurrenz unter geringer verdienenden Bevölkerungsgruppen gleicht bereits den schlimmen Zuständen zu Beginn der 90er Jahre.

Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge herrschten offenkundig deshalb katastrophale Zustände, weil Unions-Minister aus ihrem Unwillen, die realen Flucht-Ausmaße in Europa anzuerkennen, dem Bamf das nötige Personal verweigert haben.

Zuständig für die Bearbeitung dieser Missstände wären Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, über den die Autoindustrie sich schlapp lacht, die Digital-Staatsministerin Dorothee Bär, die lieber dummes Zeug über Flugtaxis redet, und der Poster-Boy der Realitätsverweigerung, Bundesinnenminister Horst Seehofer, alle Mitglieder der bayerischen Regionalpartei CSU.

Ein Kommentar von Ulli Tückmantel.

Die Vertreter dieser Partei, die bei der Bundestagswahl 2017 auf ganze 6,2 Prozent der Wählerstimmen kam, wollen dem Land weismachen, unser aller Wohl und Wehe hänge bei weiter sinkenden Flüchtlingszahlen davon ab, den schwierigen Kampf für eine europäische Lösung einfach aufzugeben und ab sofort im nationalen Alleingang Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert sind.

Unabhängig der Frage, ob das überhaupt rechtlich zulässig ist (die einen sagen so, die anderen so), geht es so nicht weiter. Nicht in der erst vor 100 Tagen geschlossenen Koalition, nicht in der Union. Jetzt muss eine Stärke zeigen — und der andere muss gehen; Scheitern gehört ja zur Konstante seiner politischen Biografie.

Schließt man aus Seehofers bisheriger Verlässlichkeit, was die Umsetzung seiner vollmundigen Ankündigungen angeht, auf sein weiteres Vorgehen im aktuellen Asylstreit, so darf man sicher sein: Er wird — unabhängig einer unionsinternen Einigung über das Wochenende — am Montag keinen Alleingang starten. Tut er es doch, so blieben Angela Merkel eigentlich nur noch zwei Optionen: Sie könnte ihn entweder sofort entlassen (das tun Kanzlerinnen mit aufsässigen oder unfähigen Ministern nach Artikel 64 des Grundgesetzes) oder aber erst im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und — falls sie das überstünde — Seehofer dann anschließend feuern. So oder so: Seehofer muss weg.

Mit der Brandmail, die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Freitagabend nach 23 Uhr an rund 420 000 CDU-Mitglieder geschrieben hat, ist klar: Kein Dissens über Sachfragen wird künftig an der Basis noch rechtfertigen können, was der quälend langsam aus dem politischen Leben scheidende CSU-Zampano sich seit drei Jahren permanent und penetrant gegenüber Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Union an Flegeleien, Demütigungen und Beschädigungsversuchen herausnimmt.

In der Sache kann man aus deutscher und europäischer Sicht ohnehin nicht falscher liegen als Horst Seehofer. Ein berechtigter Kritik-Punkt an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin 2015 lautete, dass sie ihre Entscheidungen im Alleingang ohne Absprache mit den europäischen Nachbarn traf. Ausgerechnet jetzt, zwei Wochen vor dem EU-Gipfel, ohne Absprache mit den Nachbarn und klar zulasten Dritter wieder eine Entscheidung im Alleingang zu starten, würde Europa nur noch weiter spalten und schwächen.

Merkels Vorschlag, Asylbewerber abzuweisen, die es trotz eines bereits abgelehnten Asylantrags ein zweites Mal in Deutschland versuchen wollen, und darüber in den kommenden 14 Tagen mit anderen EU-Staaten bilaterale Verträge auszuhandeln, ist vernünftig. Zumal es in dem Ziel — bei dem es auf 14 Tage und in Wahrheit nicht einmal auf 14 Wochen mehr oder weniger wahrlich nicht ankommt — überhaupt keinen Dissens gibt: Die Migration muss besser gesteuert werden, und die Zahl der nach Deutschland fliehenden Menschen muss reduziert werden. Dauerhaft und deutlich.

Wie einig die CSU sich hinter Seehofers Rumpelstilzchen-Aktion versammelt, zeigt erschreckend, wie wenig die bayerische Regionalpartei aus dem Ergebnis der Bundestagswahl gelernt hat. Wer AfD-Parolen zu seinem Maßstab macht, verliert. Und das verdient.

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