Armutsbericht: Nach dem Getöse wartet das Archiv

Der Armutsbericht ist ein belebendes Element des Wahlkampfs.

Dreiste Fälschung. Sagt Peer Steinbrück. Andere sprechen etwas milder von Schönfärberei. Die rund 500 Seiten Armutsbericht passen auf jeden Fall prächtig ins Wahlkampfkonzept des SPD-Herausforderers, der soziale Gerechtigkeit zum Kern seiner Kampagne gemacht hat. Ihm kommt deshalb gelegen, dass sich laut Bericht die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet.

Mit der SPD schließt sie sich wieder — so seine simple aber einprägsame Botschaft. Und wenn die Gesellschaft tatsächlich so stark auseinander driftet, und zwischen 14 und 16 Prozent der Menschen von Armut bedroht sind, dann handelt es sich in der Tat um ein Problem. Unseriös und nur dem Wahlkampf geschuldet ist es hingegen, deshalb eine Katastrophe an die Wand zu malen.

Denn in einem reichen Land wie Deutschland, in dem es noch nie so viele Beschäftigte wie heute gab, ist Armut ein sehr relativer Begriff. Fast immer funktionieren die sozialen Netze. Wer von ihnen aufgefangen wird, muss extrem sparsam leben, befindet sich aber im Vergleich zu Hungernden in wirklich armen Ländern in einer guten Situation.

Auch das Sinken der Reallöhne in niedrigen Einkommensgruppen hat zwei Seiten: Einerseits ist das bedenklich. Andererseits hängt dieser Wert damit zusammen, dass mehr Menschen als früher in den unteren Lohnbereichen tätig sind. Falls es sich um Ex-Arbeitslose handelt, ist das sogar positiv. Allerdings sollten sie so bezahlt werden, dass sie nicht aus Sozialkassen aufstocken müssen. Die persönliche Würde gebietet das.

Darüber, ob alle Aspekte im Bericht korrekt formuliert wurden, kann man streiten. Das politische Berlin wird darüber keinen Konsens finden. In der Tat wandelt die Regierung mit manchen positiven Formulierungen hart an der Grenze zum Unseriösen, die auch Wähler übel nehmen. Allerdings ist die Aufregung darüber, dass der noch nicht fertige Bericht umformuliert wurde, absurd. So etwas ist normal. Genau wie ein Wirtschaftsunternehmen darf auch eine Regierung Veröffentlichungen vorher überarbeiten.

Wenn sich die Opposition geschickt anstellt, wird sie den Armutsbericht noch einige Wochen für ihren Wahlkampf nutzen. Doch dann wird er — wie seine drei Vorgänger auch — im Archiv verstauben.

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