Kommentar Den Hetzern nicht das Feld überlassen

Meinung | Düsseldorf · Die antisemitischen Parolen der Rechtsextremen in Dortmund sind keine harmlose Meinungsäußerung, sondern eine gefährliche Strategie.

Thomas Gehringer, Kommentarfoto
Foto: Sergej Lepke

Thomas Gehringer, Kommentarfoto Foto: Sergej Lepke

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Am vergangenen Wochenende haben wieder Rechtsextreme in mehreren deutschen Städten demonstriert. Am Rande des Aufmarsches in Chemnitz wurden ein Journalist und ein Parteibüro der Linken angegriffen. In Dortmund protestierten 100 Teilnehmer gegen „Polizeischikanen und Polizeiwillkür“, was immerhin zeigt, dass sich die rechte Szene dort bedrängt fühlt von den Maßnahmen, die die Polizei in den vergangenen Jahren ergriffen hat, unter anderem mit der Einrichtung einer „Sonderkommission Rechts“.

Es mutet allerdings bizarr und unerträglich an, wenn diejenigen, die in ihren Stadtvierteln für ein Klima der Angst sorgen, die politische Gegner und vermeintliche Fremde mit Hass überziehen, in Opfer-Pose auf ein demokratisches Grundrecht pochen. Dennoch dürfen auch sie das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen, sofern ihnen keine Verstöße gegen Auflagen und Gesetze nachgewiesen werden können. Am Freitagabend skandierten die Rechtsextremen in Dortmund Parolen wie „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“. Die Polizei hinderte sie nicht daran.

Am Sonntag sah sie sich zu einer Erklärung genötigt: „So unerträglich diese Parolen auch sind, fiel eine erste strafrechtliche Bewertung negativ aus. Die Dortmunder Polizei stellte dennoch eine Strafanzeige und wird gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft eine bindende rechtliche Bewertung vornehmen.“ Darauf darf man gespannt sein. Sollte es wirklich wahr sein, dass offen propagierter Antisemitismus hinzunehmen ist, weil eine solche Parole gerade so von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und gerade so nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt?

Den „öffentlichen Frieden“ gestört haben die Rechten in Dortmund allemal. Denn solche Parolen sind keine harmlose Meinungsäußerung, sondern Strategie. Die Bedeutung des Aufmarsches von 100 Hetzern mag marginal sein, aber bezeichnend ist, dass sie sich erhoffen, mit antisemitischen Parolen Zustimmung jenseits der eigenen Szene zu gewinnen. In Langzeitstudien hat sich immer wieder gezeigt, dass etwa ein Fünftel der deutschen Bevölkerung empfänglich ist für antisemitische Ressentiments. Dagegen kommt man zwar nicht mit juristischen Sanktionen an, sondern nur mit Bildung und Aufklärung, aber den Hetzern in der Öffentlichkeit  das Feld zu überlassen, geht auch nicht.

Da sind natürlich nicht nur Polizei und Justiz gefordert, sondern die gesamte Gesellschaft – also: wir alle. Das ist im Alltag oft leichter gesagt als getan, aber hier kommt die gute Nachricht: Diejenigen, die sich ein Deutschland erhoffen, in dem Minderheiten ohne Angst leben, in dem fleißig gestritten, aber ein Klima des respektvollen Umgangs herrscht, sind viel, viel mehr. Wer Deutschland liebt, verbreitet keinen Hass. Das hatten wir schon.

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