3,6 Prozent: Rekordwachstum mit Schönheitsfehlern

Deutschlands Wirtschaft hängt zu sehr vom Export ab

Der kräftigste Aufschwung seit der Wiedervereinigung Deutschlands ist wahrlich ein Grund zur Freude. Er gibt zum Jubeln Anlass, weil die Parameter in den vergangenen Jahren kaum Wachstum versprachen. Finanzkrise, Eurokrise, Wirtschaftskrise, Absatzkrise — das waren zu Beginn und im Laufe des zurückliegenden Jahres Worte, welche die Schlagzeilen bestimmten. Umso bemerkenswerter ist die Leistung, die Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Politik durch Fleiß und kluge Entscheidungen im Jahr 2010 vollbracht haben. 3,6 Prozent Wachstum gegenüber 2009 — das ist schon was. Es besagt, dass Made in Germany nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat.

Dieser Bonus ist allerdings auch ein Malus. Denn wer das Haar in der so schmackhaften Suppe sucht, der wird leicht fündig. Ja, Deutschland hat ein atemberaubendes Wachstum, doch es fußt fast nur auf dem Export. Was aber geschieht, wenn noch mehr Staaten in Europa in eine Finanzkrise geraten? Was wird, wenn etwa Frankreich als guter Kunde der deutschen Wirtschaft ausfällt? Wie wirkt es sich aus, wenn die USA dauerhaft nicht wieder auf die Beine kommen? Hat Deutschland dem genug entgegenzusetzen? Wahrscheinlich nicht.

Denn die Binnennachfrage ist — verglichen mit dem Export — immer noch viel zu schwach. Die Zahl der Arbeitslosen ist zwar erfreulich gesunken, weil es nie mehr Arbeitsverhältnisse gab als heute. Doch das liegt auch am höheren Anteil der Minijobs. Andererseits sinkt die Zahl derer nicht, die auf Transferleistungen des Staates angewiesen sind. Und wer in Lohn und Brot steht, wird etwa durch höhere Krankenkassenbeiträge und höhere Energiekosten belastet. Das mindert die Kauflust.

Dass Wirtschaftsminister Rainer Brüderle in diesen Tagen gar nicht aufhören kann zu lächeln, sei ihm gegönnt. Aber ausruhen darf er sich auf dem um 3,6 Prozent höheren Bruttoinlandsprodukt nicht. Dafür war das Vergleichsjahr 2009 zu schlecht.

Deutschland braucht mehr Konsum, weniger Steuern, mehr Arbeitsplätze, weniger Hartz-IV-Empfänger. Und der Abbau der horrenden Staatsschulden ist ohnehin ein Gebot der Stunde. Es gibt viel zu tun. Brüderle und dessen Kollegen haben keine Zeit, den Aufschwung zu feiern.

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