Deutschen Oper am Rhein „Wozzeck“ an der Rheinoper: Im Schaufenster liegt ein Todgeweihter

Regisseur Stefan Herheim schiebt Alban Bergs „Wozzeck“ an der Rheinoper in einen Hinrichtungssaal.

Deutschen Oper am Rhein: „Wozzeck“ an der Rheinoper: Im Schaufenster liegt ein Todgeweihter
Foto: Karl Forster

Düsseldorf. Alban Bergs größtenteils atonale Oper „Wozzeck“ orientiert sich an Büchners Dramenfragment, verstärkt aber durch die Musik noch das psychische Chaos im Kopf des Titelhelden. Nun fokussiert der weltbekannte norwegische Opernregisseur Stefan Herheim (47) in seiner Inszenierung an der Deutschen Oper am Rhein das Endstadium der Tragödie. Wozzeck befindet sich bereits in der ersten Szene im Hinrichtungssaal einer Justizvollzugsanstalt. Er liegt festgeschnallt auf einer Bahre und harrt mit zuckenden Reflexen der intravenösen Verabreichung seines Todescocktails. Die Zeiger einer an die Wand projizierten Uhr fangen an durchzudrehen und bleiben dann für lange Zeit auf 7 Uhr stehen.

Und was nun folgt, ist nicht der Todeskampf, sondern eine Rückblende. Diese ist handlungsbedingt zwingend, wenn ein Regisseur ein mögliches Schlussbild einfach an den Anfang setzt. Wozzeck schnallt sich also ab, doch die Kulisse bleibt weitgehend der Hinrichtungssaal mit Schaufenster, vor dem eine Gruppe von Exekutionszeugen in Obachtstellung verbleibt.

Die Herstellung der Hinrichtungs-Perspektive in der Inszenierung zeugt zwar von Sensibilität und Ausdruckswillen des Regisseurs dem Sujet gegenüber. Doch leider hat die damit einhergehende Einfrierung des Bühnenbildes auch dramaturgische Schwächen zur Folge. Denn bereits bei Büchner sind die Figuren nur schemenhaft gezeichnet. Alban Bergs musikalische Konstruktionen zwischen Suite, Variation und Sonatenhauptsatz bringen zusätzliche Komplexität ins Drama.

Doch anstatt nun mit inszenatorischer Hilfe zur Klärung beizutragen, bringt sich Herheim mit einer dritten Idee ein, die zwar gedanklich klug und berechtigt sein mag, das Werk aber überfrachtet. Zudem birgt ein Einheitsbühnenbild die Gefahr der Monotonie. Immerhin wird auf der von Christof Hetzer gestalteten Bühne mit viel Licht und Video-Projektion gearbeitet, was für visuelle Varianten sorgt. Beispielsweise verwandelt sich die Bühne an der Stelle, wo Wozzeck seine Marie ersticht, via Beamer in ein romantisches Seen-Idyll bei Vollmond.

Herheim, nicht nur Regisseur, sondern auch studierter Cellist, inszeniert indes auch sehr musikalisch. Bilder und Klänge führt er synästhetisch zusammen. Musikalisch erweist sich die Produktion ohnehin als Volltreffer. Unter der Leitung von Axel Kober finden die Düsseldorfer Symphoniker zu einer expressiven und analytischen Interpretation. Hinzu kommen sängerische Höchstleistungen.

Mit dem Bariton Bo Skovhus als Wozzeck erleben wir einen kraftvollen Titelhelden, wenn auch für den labilen Wozzeck etwas zu heroisch. Sopranistin Camilla Nylund als Marie trägt lyrische Schönheit ans Ohr, Tenor Matthias Klink bringt die hinterhältige Bosheit des Hauptmanns auf den Punkt, und Bassist Sami Luttinen karikiert die Figur des Doktors mit einer exakten Dosis Sarkasmus. Am Ende ergibt die Produktion trotz dramaturgischer Wirrnisse ein beeindruckendes Gesamtbild.

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