„Viele werden daran Anstoß nehmen“

Interview: Ethikexperte Dieter Birnbacher über den Plan von Gunther von Hagens, Leichen-Plastinate im Internet zu verkaufen.

Düsseldorf. Der umstrittene Heidelberger Anatom Gunther von Hagens will Leichen-Plastinate und -Reproduktionen ab Anfang November in einem Online-Shop anbieten. Um Nachbildungen zu kaufen, muss man kein Arzt, Forscher oder Lehrender sein - ein Scheibenschnitt durch das Knie kostet beispielsweise 92,70 Euro. Ein Gespräch mit dem Düsseldorfer Philosophie-Professor Dieter Birnbacher, Mitglied der Ethikkommission der deutschen Ärztekammer.

Birnbacher: Ja, vor langen Jahren in Oberhausen. Ich habe die Ausstellung als sehr interessant empfunden, obwohl es damals viele Bedenken seitens der Medizinethik gab. Überrascht war ich, wie viele Besucher sich selbst für eine Plastination zur Verfügung stellen wollten.

Birnbacher: Das mit der Tabuisierung halte ich für ein Gerücht. Zahlreiche - auch junge Menschen - setzen sich mit dem Thema auseinander. Da viele Menschen abseits der Familie sterben, hat man heute einfach weniger mit Leichnamen zu tun als früher.

Birnbacher: Hier sind einige Überlegungen anzustellen, die schwer rechtlich festzulegen sind. Auch wenn ein Individuum für eine Plastination seine Einwilligung gibt, kann dies die Gesellschaft herabwürdigend oder unakzeptabel finden. Zudem stellt sich die Frage nach der Würde des Menschen, die ja über den Tod hinausgeht - man darf mit einem Leichnam nicht alles machen, ihn zum Beispiel nicht entstellen oder erniedrigen. Die Pietätspflichten sind ebenfalls zu berücksichtigen, auch wenn diese stark kulturell gebunden sind.

Birnbacher: Die Formulierung ist sehr flippig für den Gegenstand, um den es geht. Das gehört in den Bereich Geschmacklosigkeit. Ich verstehe die Bedenken, die dabei aufkommen. Ich glaube, viele werden daran Anstoß nehmen. Doch für mich ist etwaige Kritik nicht so gravierend, dass sie ein Hinderungsgrund wäre.

Birnbacher: Laut Webseite dürfen nur qualifizierte Nutzer ein echtes Leichen-Plastinat bestellen. Das ist vielleicht ein ähnlicher Fall wie das traditionelle Skelett, das im Bio-Unterricht nicht fehlen darf. Man lernt einfach plastischer über den menschlichen Körper als über Abbildungen oder Folien. Und viele setzen darauf, nach ihrem Tod noch etwas stiften zu können - sogar den eigenen Körper.

Birnbacher: Wichtig ist vor allem, dass die Einwilligung der Plastinierten vorliegt. Solange das gewährleistet ist, halte ich das Angebot für vertretbar. Auch Nachbildungen für jedermann stören mich nicht - das ist in etwa so, als ob ein Zahnarzt ein Gebiss in seine Praxis stellt.

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