Versprochen – gebrochen

Nicht alles, was vor einer Wahl gesagt wird, gilt auch danach. Handelt es sich dabei eigentlich um Lügen? Oder muss man diese strategische Irreführung nicht sogar bewundern?

Düsseldorf. Das Kompositum Wahlversprechen würde wohl auch als Schimpfwort durchgehen - und das nicht erst, seitdem die neue schwarz-gelbe Bundesregierung im Amt ist. Politische Versprechen zu brechen, hat eine lange Tradition.

Vor der Bundestagswahl 1980 kam für den damaligen FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher eine Koalition mit CDU/CSU offiziell nicht in Frage; zwei Jahre später ging er sie doch ein. Der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, schloss Steuererhöhungen zur Finanzierung der Wiedervereinigung aus; dann fiel er um. Vor der Bundestagswahl 2005 verunglimpfte die SPD jede Mehrwertsteuer-Erhöhung als "Merkelsteuer"; mit eben jener Angela Merkel sattelten die Sozialdemokraten anschließend satte drei Prozentpunkte drauf.

Und nun Guido Westerwelle. "Versprochen - gehalten" verkündete er demonstrativ nach Abschluss des Koalitionsvertrages. "Einfacher, gerechter und niedriger" sind die Schlagwörter für eine umfassende Steuerreform. Alle wissen, dass diese Reform so bald nicht kommen wird: Experten wissen es, die Regierung weiß es, sogar die meisten Bürger wissen es, wie Umfragen zeigen. Handelt es sich hier also um eine politische Lüge?

Wenn man sich mit FDP-Wählern unterhält, dann fällt auf, dass sich die Enttäuschung über das mutmaßlich gebrochene Wahlversprechen in Grenzen hält. Eine Ent-Täuschung setzt eben eine vorausgegangene, erfolgreiche Täuschung voraus. Wer aber hat wirklich angenommen, dass die Liberalen zaubern können: in Bildung investieren, die Schulden senken und gleichzeitig die Steuern senken?

So betrachtet liegt hier auch keine Lüge im engeren Sinne vor. Denn eine Lüge setzt nicht nur voraus, dass der Sender seine eigenen Aussagen für unwahr hält. Er muss auch annehmen, dass der Adressat sie glaubt.

Wie steht es mit Andrea Ypsilanti? Ist sie eine "Lügilanti"? Am Rande des SPD-Parteitags in Dresden Mitte November diskutierte ein Ypsilanti-Vertrauter erregt mit einigen Journalisten. Ja, Ypsilanti habe das Wahlversprechen "brechen müssen", nicht mit den Linken zu paktieren. Aber von einer Lüge könne nun wirklich keine Rede sein.

Schließlich habe Ypsilanti die "ehrliche Absicht" gehabt, sich an ihr Versprechen zu halten, so die krude Argumentation. Doch wer kann das überprüfen? Klar ist nur: Viele Wähler hatten Ypsilanti geglaubt und fühlten sich getäuscht.

Am Ende zerstört die Lüge sich selbst, wusste schon Kirchenvater Augustinus (354 bis 430 n. Chr.). Lüge setzt das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit voraus. Dieses Vertrauen aber wird über kurz oder lang zersetzt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht. Augustinus lehnte die Lüge darum kategorisch ab.

Dabei setzen Täuschung und Irreführung Kreativität, Raffinesse und Wendigkeit voraus. Fast alle großen Politiker waren auch große Lügner, sagt der Göttinger Politologe Franz Walter. Er nennt exemplarisch Otto von Bismarck, Konrad Adenauer und Charles de Gaulle. Bis heute feiere man sie "nicht ohne Grund", so Walter.

Dagegen steht das Prinzip Guttenberg. Er traute sich im Sommer, eine Opel-Insolvenz ins Spiel zu bringen, war also ehrlich, als alle populistisch waren. Noch immer gehört er (auch) deswegen zu den beliebtesten Politikern.

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