Konzertkritik Udo Lindenberg feiert in Köln einen magischen Abend mit dem Panik-Orchester

Köln · Bei seinem ersten von zwei Konzerten in der „Exzess-Arena“ reißt der alte Rock‘n Roller seine Fans mit einer großen Show und viel Emotionen mit.

 Udo Lindenberg feierte in Köln einen furiosen Abend. Archivbild.

Udo Lindenberg feierte in Köln einen furiosen Abend. Archivbild.

Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Dass er die ausverkaufte Lanxess-Arena kurzerhand umtauft in Exzess-Arena, passt zu den bekanntlich auch sonst originellen Wortschöpfungen des Udo Lindenberg. Und genau zu dieser Exzess-Arena macht er das große Rund an diesem Abend - der mittlerweile 73-jährige und doch zeitlose Rock‘n Roller. Unterstützt nicht nur von seinem Panikorchester, das er die „geilste Band auf dem Planeten“ nennt. Sondern auch von zwei stimmgewaltigen Frauen, Ina Bredehorn und Nathalia Dorra, die viel mehr als Background Vocals sind. Sie tragen den Mann mit der Nuschelstimme, der im Laufe des Abends seine Stimmbänder immer mal wieder durch ein Eierlikörchen ölt, mit durch seine Lieder. Es herrscht ein ständiges Gewusel verschiedenster Tänzer und Darsteller auf der Bühne, die, neben den Film- und Bildeffekten auf der großen Videoleinwand, das Ganze zu einem großartigen Panik-Theater machen.

Da ist ein älterer Herr, der einfach kein älterer Herr sein will, kein Charles Aznavour, der seine Stücke auf einem Hocker sitzend runterspielt. Zweieinhalb Stunden tanzt der Mann mit den dünnen Spinnenbeinen, der sich mit nächtlichen Joggingrunden fit hält, über die Bühne. Er sprüht vor Spielfreude, als er seine musikalische Lebensgeschichte noch einmal in mehr als 30 Stücken Revue passieren lässt. Die alten Lieder, von „Andrea Dorea“ über „Cello“ bis zum „Sonderzug nach Pankow“ immer wieder ein bisschen variiert, sie alt und gleichzeitig neu klingen lässt.

Mit lautem Getöse beginnt die Show, auf der Leinwand sehen die Zuschauer das Raumschiff „Panik 1“ landen, ihm entsteigt ein Udo nach dem anderen. Acht Doubles. Der echte Udo schwebt schließlich in einer Satellitenkapsel von der Hallendecke. Wie ein Messias, der zu seinen 18.000 Jüngern kommt. Und spätestens mit dem zweiten Stück, seiner Hymne „Ich mach mein Ding“, hat er sie alle eingefangen.

Kompromisslos politisch ist er immer noch. Radikal naiv in seinen Forderungen und Wünschen, wenn er mit einem emotional rührenden Kinderchor auch noch nach Jahrzehnten sein „Wozu sind Kriege da?“ singt. Und dann als Alternative zur Lösung zwischenstaatlicher Probleme einen Boxring auf der Bühne aufbauen lässt, in dem sich dann zwei Herren mit Trump- und Putin-Masken gegenseitig vermöbeln statt ihre Völker aufeinander zu jagen. Und er zeigt, dass die Kritik junger Fridays-For-Future-Aktivisten, dass nicht genügend Ältere im Kampf um die Klimapolitik mitgerissen werden, jedenfalls mit Blick auf ihn, Udo, nicht zutrifft. „Die Penner da oben in den Regierungsämtern kriegen es nicht geregelt, der Druck muss bleiben“, ruft er. Und: „Greta sagt auch, wir brauchen Panik.“ Dass ein wichtiges Ziel nicht durchsetzbar sei, will er nicht gelten lassen. „Utopien sind vorverlegbar.“ Auch das so ein Satz, der hängen bleibt.

 Lichtermeer in der Kölner Arena.

Lichtermeer in der Kölner Arena.

Foto: Peter Kurz

Lindenberg kokettiert mit den trüben Verhältnissen, den schweren Anfängen in seinem Heimatort Gronau („an der Donau“, wie er stets hinzufügt). Und dass er nur eine Baumschule besucht habe, aber das reiche ja für einen Rockmusiker. Von seinen Alkoholexzessen spricht und singt er. „Lady Whisky“ als Rückblick und bitterernste Warnung. 800 Stücke habe er in seinem Leben komponiert und getextet, sagt er, einige davon „breit geschrieben und nüchtern gegengelesen“, wie er selbstironisch zugibt. Und doch ist so viel Originelles dabei herausgekommen. Wie die Zeile „Alles was sie anhat, ist ihr Radio“, ein Stück, das an diesem Abend ganz besonders zum Leben erweckt wird - zahlreiche Damen treten im transparenten engen Anzug auf. Nackter als nackt, jede ein Kofferrradio im Arm, tänzeln sie über die Bühne.

Und er attackiert die durch Missbrauchsfälle erschütterte Kirche, die Strukturen wie den Zölibat, auf seine Art: Er lässt ein paar Frauen im Nonnen- und Männer im Priestergewand auf die Bühne kommen und spielt dann selbst den sie trauenden Priester. Natürlich heiraten dann da nicht Nonne und Priester, sondern Nonne und Nonne und Priester und Priester zu Rockmusikklängen. Die Kirche solle sich in Sachen Liebe locker machen, ruft er der bizarren Zeremonie hinterher.

Neben seiner textlichen Originalität, so bleibt am Ende dieses furiosen Abends hängen, sind es die zu einem Rock’n Roller so gar nicht passenden schönen Melodien, die er in seinem Musikerleben komponiert hat. Stücke, die emotional mitreißen wie etwa sein „Hinterm Horizont“ oder sein traurig-ermutigendes „Durch die schweren Zeiten“. Und wenn dann viele Tausend Menschen auf sein Kommando hin die „Exzess-Arena“ mit ihren Handy-Lichtern zu einer leuchtenden Milchstraße machen, ist das ein hochemotionales Fest mit einem, der nach seinem tiefen Absturz und Alkoholexzessen seit Jahren einen zweiten Frühling mit seinen alten und neuen Fans feiert. Statt mit Whisky mit „frischem Udopium“, wie er den emotionalen Mix nennt, den er freigebig unter seinen Fans verteilt.

Weil die bis Ende Juli angesetzte Tournee trotz Zusatzkonzerten weitgehend ausverkauft ist, soll sie im kommenden Jahr fortgesetzt werden. Gelegenheit, auch dann noch mal einen magischen Abend zu erleben.

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