Tanzfestival : Tanzplattform: „Kreatur“ von Sasha Waltz - Ein düsteres Stück über die zerissene Gesellschaft
Das Gastspiel „Kreatur“ von Star-Choreografin Sasha Waltz liefert einen Höhepunkt des Festivals Tanzplattform Deutschland. Die Produktion spiegelt die zerrissene Gesellschaft unserer Zeit.
Essen. Scharen von Tanzfans durchstreifen derzeit das Unesco-Weltkulturerbe Zollverein. Ihr Stimmengewirr belebt das sonst so stille Industriedenkmal. Das Zechengelände ist Festivalzentrum der 14. Ausgabe der Tanzplattform Deutschland. Im Ruhrgebiet präsentiert die Biennale für zeitgenössischen Tanz — made in Germany — noch bis morgen die Best-of-Produktionen der vergangenen zwei Jahre. Wobei die Auswahl der Jury für das Gipfeltreffen der Tanzmacher diesmal in der Szene auch auf Kritik stößt. Die Qualität der einen oder anderen Arbeit wird durchaus — und zu Recht — bemängelt.
Die Bandbreite reicht von Nachwuchs bis Prominenz und von dekonstruiertem Ballett über choreografiertes Essay bis zu gesellschaftspolitischer Performance. Ob alte Waschkaue, ehemaliges Salzlager der Kokerei oder architektonisch beeindruckender Sanaa-Kubus — überall bewegte Kunst, dazu originelle Gesprächsformate mit Publikum, Künstlern und Theoretikern.
Einen Höhepunkt im Festivalkalender markierte das Gastspiel der Berliner Choreografin Sasha Waltz im Aalto Theater in Essen. Die Einladung der künftigen Co-Direktorin das Berliner Staatsballetts ist gewiss unumstritten, die neue Produktion bietet allerdings Stoff für kontroverse Gespräche.
Als die junge Choreografin am Anfang ihrer Karriere stand und mit ihren witzig-absurden Arbeiten als aufregendste Tanz-Theater-Erneuerin seit Pina Bausch galt, kehrte sie dem Hype Ende der 1990er Jahre vorübergehend den Rücken. Sie zog mit ihrem Ensemble „Sasha Waltz & Guests“ in das Gutshaus des Theaterreformers Stanislawski bei Moskau und probte „Na zemlje“. Ein gewalttätiges Stück, das das Urvieh im Menschen ausstellt, in naturalistischer Kulisse mit Heuhaufen. Heute, 20 Jahre später, präsentiert die zum internationalen Star gereifte Künstlerin das „erwachsene“ Pendant: Das Gastspiel ihres jüngsten Werks „Kreatur“ im Aalto-Theater im Rahmen der Tanzplattform Deutschland zeigt die konsequente Entwicklung der Ausnahme-Choreografin.
Die Themen sind ähnlich, doch die Ästhetiken könnten unterschiedlicher kaum sein. „Kreatur“ wäre ein Meisterwerk der tänzerischen Abstraktion, würde es sich nicht über 90 Minuten zerdehnen und so seinen faszinierenden Momenten viel Kraft nehmen.