Ruhrtriennale: „O Wort, du Wort, das mir fehlt!“
Am Samstag beginnt die Ruhrtriennale mit „Moses und Aron“.
Bochum. Von den hohen Deckenkonstruktion in Halle 1 der Jahrhunderthalle Bochum hängen wie gelbes Pergamentpapier aussehende, halbrund gebogene Streifen, die bedruckt sind mit zahllosen Buchstaben in allen Größen. Aber es sind keine Wörter, die einen Sinn ergäben, und so könnte man ausrufen: "O Wort, du Wort, das mir fehlt!"
Dies ist der letzte Satz, den Arnold Schönberg in der Oper "Moses und Aron" dem gescheiterten Propheten in den Mund legt, nachdem er eingangs mit der Anrufung begann: "Einziger, ewiger, allgegenwärtiger, unvorstellbarer, unsichtbarer - Gott!"
Willy Decker, der Intendant der Ruhrtriennale auf drei Jahre, hat das äußerst komplexe Werk selber inszeniert und leitete jetzt dazu eine Gesprächsrunde. Er verzichtet auf ein herkömmliches Bühnenbild. An einem manifesten Bild gleite man hier ab. Decker ist vielmehr an der "Atmosphäre eines Experiments" gelegen. Denn letztlich spiegele Moses das Dilemma des Künstlers: Aus dem Nichts ein Etwas zu schaffen.
Im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen dem Künstler und glatten Volksverführer Aron und seinem Bruder, dem strengen Gottsucher, Priester und stotternden Propheten Moses, steht die Frage, ob es überhaupt gestattet ist, Gott einen Namen zu geben oder gar ein Abbild.
Die in Berlin, Jerusalem und Frankfurt lehrende jüdische Religionsphilosophin Almut Bruckstein sagt, dass erst die islamischen Theologen des 10. Jahrhunderts in der Sprache einen Verrat sahen. Deutsch-jüdische Intellektuelle hätten Staatstreue sogar "Götzendienst" genannt.
Musikwissenschaftler Ulrich Krämer berichtet, wie sehr Arnold Schönberg (1874-1951) Johann Sebastian Bach verehrte. Die Zwölftonreihe, die Schönberg seiner Oper zugrundelegt und aus der sich sämtliche Akkorde herleiten, arbeitet am Anfang und am Ende mit Bachs Namen, den Tönen b, a, c, h.
Und überhaupt, beteuert auch Dirigent Michael Boder, die Reihe zu hören sei unmöglich, "man soll sich nur auf das außerordentliche Klangerlebnis" und die dramatische Wucht konzentrieren. Der Mensch höre nun einmal "tonal". Und Decker ergänzt, seine Inszenierung versuche, sich von der Abstraktion zu befreien, zu der jedes Zwölftonwerk verleite.
Chorleiter Rupert Huber und Boder berichten von Skurrilitäten in Schönbergs Regieanweisungen. So ordnet er einmal an, der Chor müsse "ganz vorn an der Rampe" sein, "aber unsichtbar". In der "Jakobsleiter" soll der Chor wiederum in weiter Ferne stehen - "und flüstern".
Während Schönberg für den Tatmenschen Aron eine Partie als strahlender Heldentenor schrieb, muss Moses, "gesungen" von Dale Duesing, seine Partie selber finden - vorgegeben sind nur die Tonhöhen. Die dritte Hauptperson ist das Volk Israel. Wenn auch in vielen Werkanalysen "Moses und Aron" stets als unvollendet bezeichnet werde, so hält Decker das für falsch: "Indem Moses sein Scheitern eingesteht, hat er es aufgehoben."
Die Inszenierung wurde gefördert von der Kunststiftung des Bundes und der Kunststiftung NRW. Premiere am 22.8., 20.30 Uhr, Jahrhunderthalle Bochum, Preise 20 bis 80 Euro, weitere Termine: 25., 28., 30. und 2.9., jeweils 20.30, Einführung 19.45 Uhr.