Tänzer als Choreografen Rheinballett: Eine Entdeckungsreise zu jungen Talenten

Sechs Tänzer des Rheinballetts versuchen sich in dem neuen Format „Young Moves“ als Choreografen. Für sie eine Art Bewährungsprobe.

Tänzer als Choreografen: Rheinballett: Eine Entdeckungsreise zu jungen Talenten
Foto: Gert Weigelt

Duisburg/Düsseldorf. Erwachsene und Kinder sitzen oder stehen dicht gedrängt morgens in der U-Bahn. Halb verschlafen in sich versunken oder aktiv. Bewegungen aus dem Alltag, mal harmonisch, mal chaotisch, so wie sie Wun Sze Chang häufig beobachtet, wenn sie per Bus und Bahn unterwegs ist — zum Trainings- und Probenhaus des Balletts am Rhein oder zum Opernhaus. Sie haben die 30-jährige Hongkong-Chinesin inspiriert zu einem Stück mit dem Titel „It is passing by“ (Es zieht vorüber).

Die Ballerina, deren athletisch geschmeidigen Sprünge und Drehungen sonst bei den Tanzabenden der Rheinoper zu bewundern sehen sind, tritt ab 18. Juni als Choreografin auf. Gemeinsam mit fünf weiteren Tänzer-Kollegen stellt sie im Duisburger Opernhaus ihre Kreation vor. „Young Moves“, so der Titel des sechsteiligen Abends, der Tanzfreunde mit auf eine Entdeckungsreise nimmt. Sechs Ideen, umgesetzt von Kollegen, mit denen sie täglich an der Ballettstange ihren Körper stählt.

Ein Abenteuer könnte das neue Format „Young Moves“ auch aus einem anderen Grund werden: Man wird sehen, in wieweit die drei Frauen und drei Männer aus der Spitzentruppe von Martin Schläpfer (von Kritikern drei Jahre hintereinander zur besten Kompanie der Republik gekürt) in Bewegung und Stil von ihrem Chefchoreografen geprägt sind, oder wieweit sie fähig sind, sich von der Handschrift ihres Meisters zu lösen. Alle Stücke sind nicht mehr als Miniaturen, Fingerübungen. „Dauer: etwa 15 Minuten. Da sieht man, ob sie das Talent haben, demnächst mal ein längeres Opus zu kreieren“, sagt der neue Ballettdirektor Remus Sucheana, der gemeinsam mit Martin Schläpfer die Kandidaten auswählte. „Mit Ende 20/Anfang 30 erhalten sie die Chance, als Talent entdeckt zu werden.“

In Stuttgart, Hamburg und anderen Ballett-Metropolen gehören solche Abende längst zum Repertoire. Nun endlich auch beim Ballett am Rhein. Beraten werden sie in puncto Musik, Organisation, Bühnengestaltung und Inhalt nur auf Wunsch. Wenn sie Kostüme benötigen, steht ihnen der riesige Opernfundus in Düsseldorf zur Verfügung. Die Kollegen des Balletts, die ihr Stück aus der Taufe heben werden, dürfen sie selbst auswählen.

Thema Musik: Bei Alban Pinet fiel die Entscheidung für ein bestimmtes Musik-Genre erst sehr spät. Zunächst wollte der 27-jährige Franzose, der vor drei Jahren von John Neumeiers Hamburger Kompanie an den Rhein wechselte, auf Musik verzichten. Doch nun entschied er sich für Musiknummern der 1920er/30er Jahre. Genau in dieser Dekade schrieb Virginia Woolf ihren Roman „Orlando“. Darin geht es um die Verwandlung des Titelhelden in eine Frau. Ein Thema, das Pinet gepackt hat und seit Beginn seiner Ballettkarriere beschäftigt.

Dieses literarische Werk von 1928 nutzt Pinet, als Tänzer in Bordeaux und Paris ausgebildet, für die Gratwanderung zwischen „männlich — weiblich“. Klar, dass in seinen Tanztheater-Szenen zehn seiner Kollegen zahlreiche Kleider an- und ausziehen müssen. Keine Seltenheit auch in Stücken von Pina Bausch. Die Ikone habe er zwar nicht live erlebt, aber viele Filme mit ihr und über sie gesehen. Entsprechend der Erkenntnis, dass (wie häufig bei Bausch) das Geschlechter-Verständnis auf den Kopf gestellt wird, nutzt er für den Titel seines Stücks die umgekehrte Schreibweise des Woolf-Romanhelden, aus Orlando wird also „Odnalro“.

Ein 27-jähriger Tänzer, der fasziniert ist von Literatur und sich intensiv damit beschäftigt. Sicherlich ist Pinet, der bereits für das Hamburger Staats-Ballett choreographieren durfte, darin eine Ausnahme, zumindest eine außergewöhnliche Erscheinung im Ballett am Rhein. Dazu passt, dass Alban gerade seine Bachelor-Arbeit in Linguistik geschrieben hat. Sechs Jahre hat er neben seinem Fulltime-Job als Tänzer in Hamburg und Düsseldorf an einer Fern-Universität studiert. Den Abschluss machte er jetzt auch deshalb, „weil es ein großer Wunsch meiner Eltern war.“

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