Nazi-Opfer: Man stolpert auch im Netz

Die Gedenksteine des Künstlers Gunter Demnig findet man nun auch online — und Biographien dazu.

Köln/Hamburg. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, sagt der Künstler Gunter Demnig. Seit 1997 erinnert der Kölner an die Opfer des Nationalsozialismus, indem er vor ihrem letzten Wohnort kleine Gedenktafeln aus Messing in den Boden einlässt — sogenannte Stolpersteine.

„Hier wohnte . . .“, steht auf den zehn mal zehn Zentimeter großen Tafeln, dann Name und Geburtsdatum des Opfers und Informationen zu Deportation und Ermordung. „Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten“, ist Demnig überzeugt.

Damit noch mehr Menschen von den Schicksalen der ermordeten Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und anderen Verfolgten des Nazi-Regimes erfahren, hat die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt auf Grundlage von Google-Maps und Google Streetview alle 32 000 Stolpersteine in einer digitalen Karte erfasst.

So „stolpern“ vor allem jüngere Menschen dort, wo sie einen Großteil ihrer Zeit verbringen — im Internet. Bisher findet man die 4075 Hamburger Stolpersteine, weitere deutsche Städte sollen folgen. „Das Ziel der Kampagne ist es, möglichst viele Menschen zum Mitmachen und zum Erinnern zu bewegen“, sagt Dörte Spengler-Ahrens von der Agentur.

So kann man erfahren, dass im Heimweg 1, im noblen Stadtteil Hamburg-Harvestehude, gleich die komplette Familie Rosenstein von den Nationalsozialisten erst nach Lodz deportiert und dann ermordet wurde: Mutter Irma (geb. 1896), Vater Otto (geb. 1900) und die Kinder Leah Lieselotte (geb. 1929) und Ferdinand (geb. 1937).

Dank der Initiative „Stolpersteine in Hamburg“ der Landeszentrale für politische Bildung gibt es über einige der Ermordeten mehr Informationen wie Biografien und Fotos. Bereits seit 2008 werden die Gedenktafeln in Hamburg auf der Smartphone-Applikation „Stolpersteine in Hamburg“ erfasst und mit Daten im Internet verknüpft — so können Informationen bequem unterwegs abgerufen werden.

In der Hallerstraße 76 wohnte die Familie Carlebach. Vater Joseph Carlebach (1883-1942) war Rektor der Talmud-Tora-Realschule und Oberrabbiner. Im Dezember 1941 wurden das Ehepaar Carlebach und seine drei jüngsten Töchter Ruth, Noemi und Sara ins Konzentrationslager Jungfernhof bei Riga deportiert und einige Monate später erschossen. Der jüngste Sohn Salomon überlebte die Lager, die älteren fünf Kinder hatten die Eltern rechtzeitig ins sichere England geschickt. Bilder und Briefe der Familie findet man auf der Webseite „Streiflichter aus jüdischer Vergangenheit in Hamburg“.

Der Stolperstein für Anita Rée (1885-1933) liegt in Fontenay 11. Der Link auf Wikipedia erklärt, dass sie eine bedeutende Malerin der Avantgarde war. Max Liebermann ermutigte sie zur Fortsetzung ihrer Ausbildung. 1932 verließ sie Hamburg und zog nach Sylt. Nach Anfeindungen und persönlichen Enttäuschungen vereinsamte die Künstlerin. Dies trieb sie am 12. Dezember 1933 in den Selbstmord. Zuvor schrieb sie an ihre Schwester: „Welchen Sinn hat es — ohne Familie und ohne die einst geliebte Kunst und ohne irgendwelche Menschen — in so einer unbeschreiblichen, dem Wahnsinn verfallenen Welt weiter einsam zu vegetieren?“

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