„Udopium“ für alle: Udo Lindenberg wird nun wirklich 70

Hamburg (dpa) - „Udopium - geiles Wortspiel, ne?“, sagt Udo Lindenberg und grinst. „Deutschland nimmt wohl eine neue Droge“, erklärt er sich das, was um ihn herum gerade passiert.

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Unter dem Einfluss jenes Udopiums könnten Partys lange dauern - gefühlt hat der Musiker seit Wochen Geburtstag. Seit er sein Werk „Stärker als die Zeit“ vorgelegt hat, wird er nicht nur von Fans gefeiert. Mit Volldampf rast er seit Ende April durch die Medienkanäle, in den Charts platziert er sein drittes Nummer-Eins-Album, und er selbst glaubt, eine Rakete gefrühstückt zu haben, weil alles so „geilomatik“ nach oben „zischt“.

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Während die einen ihn zu Deutschlands einzigem wahren Rockstar ernennen, befassen sich andere mit dem Phänomen des Panikrockers. Warum ihn plötzlich (fast) alle lieben? „Weil ich geile Sachen mache“, sagt er. Am Dienstag (17. Mai) wird Udo Gerhard Lindenberg nun tatsächlich 70 Jahre alt.

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Was sich an jenem 17. Mai 1946 im westfälischen Gronau ereignete, besang er einst so: „Ich fiel direkt vom Himmel auf ein D-D-Doppelkornfeld.“ Auch was danach geschah, verraten seine Lieder. Über seinen frühen Wunsch etwa, Enge und Tristesse zu entfliehen: „Eine Sache war für mich schon damals völlig klar: Wenn ich später groß bin, fahr' ich nach Amerika. Bestimmt warten die da schon auf meines Vaters attraktiven Sohn. Und dann werd' ich was Berühmtes und zu Hause hör'n sie alle davon.“ Für ihn war klar: „Und wenn wir jetzt auch noch nicht wissen, wohin, unser Leben muss ganz anders laufen als stupide abrackern und sich abends vor der Glotze besaufen.“ Er wollte sich nicht fragen müssen: „Wie komm' ich raus aus diesem Wartesaal mit tiefgefrorenen Träumen im Kühlschrank?“

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Am Anfang stand eine Art „Masterplan“, den der Sohn des Installateurs Gustav und der Hausfrau Hermine bis ins Detail ausgeheckt hatte - getrieben vom Wunsch, „reich und berühmt“ zu werden. Seit Ende der 60er Jahre lebt er bevorzugt in Hamburg. Hier, wo er in frühen Jahren in einer WG mit Komiker Otto Waalkes und Rocker Marius Müller-Westernhagen wohnte und heute das Hotel Atlantic seine Dauerherberge ist, entwarf er in Skizzen das Bild vom Rock-Revolutionär: „Markante Silhouette mit enger Beinbekleidung, torkelnde Lindi-Choreografie und deutsche Texte. Strategie-Papiere für den Weg vom Gully zum Gipfel.“

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Eigentlich erfolgreicher Schlagzeuger, kam Lindenberg Anfang der 70er Jahre in den Vordergrund. Nach dem Vorspiel - vom „Auftritt“ als Knirps in der Stammkneipe des Vaters über die Trommelei im Hühnerstall bis hin zu Engagements bei Jazz-Größen wie Klaus Doldinger - trat er als Sänger ins Scheinwerferlicht.

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„Keine Panik auf der Titanic, jetzt trinken wir erst mal einen Rum mit Tee“, sang er 1972 in „Hoch im Norden“, im Jahr darauf gelang ihm mit „Alles klar auf der Andrea Doria“ endgültig der Durchbruch. „Damals war die amtliche Popsprache Englisch, zumindest für die, die nicht selbstmörderisch eigensinnig sein, sondern viele Platten verkaufen wollten“, bemerkt Autor Benjamin von Stuckrad-Barre im Buch „Am Trallafitti-Tresen“ (2008), das er mit seinem Kollegen Moritz von Uslar verfasste. Uslar nennt jene Entscheidung für das Deutsche die „historische Leistung von Udo“ und würdigt die „Leichtigkeit, Beiläufigkeit, Schnoddrigkeit, das Doppeldeutige und das Fingerschnippen“ in den Liedtexten. „Das Universelle, Bedeutende wird klein gemacht, das scheinbar Unwichtige, Banale groß.“

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In ihrem Buch tauschen sich die Autoren über das Lindenberg-Werk in seinen Texten aus. Etwa über typische „Udo-Vokabeln“: irgendwie; einfach mal; so 'n bisschen; mal sehen; und so; alles klar; und dann war ich wieder völlig fertig. Über das „Udo-Personal“, von ihm erfundene Charaktere wie Alkoholmädchen, Jonny Controlletti, Bodo Ballermann, Rudi Ratlos, Sister King Kong, Gene Galaxo, Gerhard Gösebrecht, Wotan Wahnwitz, Elli Pirelly, Emanuel Flipmann und Lady Whisky.

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Oder über den Udo-Begriff Panik: Der sei ein „Beispiel für eine Udo-Vokabel, die sich losgelöst hat von jedem Sinn“ und längst ihr Eigenleben führe, sagt Stuckrad-Barre. Erstmals und noch im ursprünglichen Sinn tauchte sie in „Hoch im Norden“ auf. Auf der nächsten Platte war seine Band dann schon das Panik-Orchester - „und 'Panik' steht fortan als Synonym für alles, was Udo gut findet, also subversiv, chaotisch, aufregend...“

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Die Deutschen jedenfalls horchten auf: Das klang anders als alles, was bis dahin aus den Radios dröhnte. Schon das folgende Album „Ball Pompös“ brachte Gold, Tourneen wie „Dröhnland“ unter der Regie von Peter Zadek wurden zu Meilensteinen. Und Lindenberg zum Wegbereiter: „Ohne Udo Lindenberg würden wir alle nicht das erreicht haben mit unserer deutschsprachigen Rockmusik, was passiert ist“, sagte erst jüngst seine Kollegin Nina Hagen in einer TV-Doku. Er hat Geschichte(n) geschrieben - in Songs und Statements: wenn er zu Zeiten der deutschen Teilung über das „Mädchen aus Ost-Berlin“ sang, dort im Palast der Republik auftrat, mit dem „Sonderzug nach Pankow“ musikalisch durch die Mauer preschte oder mit DDR-Staatschef Erich Honecker Lederjacke gegen Schalmei tauschte. Sein fast 35 Jahre altes Lied „Wozu sind Kriege da?“ - eine zeitlose Anti-Kriegs-Hymne. Und immer wieder Rock gegen Rechts für eine Bunte Republik Deutschland.

Irgendwann aber sah man „Uns Udo“ mehr auf dem Barhocker als auf der Bühne. Abgeschrieben an Alkoholexzesse, kein angemessenes Alterswerk in Sicht. Der Alkohol, dem schon sein Vater zugeneigt war - auch in seinem Leben und Werk sehr präsent, bis hin zu mit Schnapsfarben gemalten und patentierten „Likörellen“. „Und der Whisky, der zieht runter - und sein Blut wird schnell und warm. Und jetzt nimmt ihn Lady Whisky ganz zärtlich in den Arm“, sang er Anfang der 90er Jahre. 2003 erstmals und auf dem neuen Album folgte ein Dankeschön an seinen Körper: „Ich hab' geraucht so wie ein Schlot und gesoffen wie ein Loch. Ich hab' dich super hart geschunden, trotzdem leben wir immer noch.“ Immer wieder räumte er aber auch ein: „So manche hohe Wissenschaft und Symphonien und höhere Sphären wär'n nicht entstanden, wenn die Kollegen immer nur nüchtern geblieben wären.“

Andere hätte das alles endgültig aus der Bahn geworfen, Lindenberg aber hat die Kurve gekriegt. Mit dem Comeback vor acht Jahren gelang ihm das erste Nummer-Eins-Album seiner Karriere, nach „MTV Unplugged“ (2011) platziert er nun mit „Stärker als die Zeit“ sein drittes. Mit 70 Jahren ist er fitter denn je, rockte bei den ersten Proben für seine Tournee fast drei Stunden lang in seinen neongrünen Socken über die Bühne. Denkmäler wurden für ihn errichtet, darunter in Gronau, wo er auch Ehrenbürger werden soll - und er hat sie sich selbst gesetzt, nicht nur mit seinen Songs, auch mit einem eigenen Musical. Nach mehr als fünf Jahren wird es bald in Hamburg zu sehen sein: „Hinterm Horizont“, benannt nach einem seiner größten Hits, auf der von ihm geliebten und besungenen Reeperbahn.

Doch erst einmal steht die Tour mit 14 Konzerten an. Seinen 70. feiert er mitten in den Proben im Schalke-Stadion von Gelsenkirchen. Nach dem Start am 20. Mai kutschieren 31 Trucks die Materialien bis zum 26. Juni durchs Land: 200 Lautsprecher, 31 Kilometer Kabel, 300 Spezialscheinwerfer - für den „pompösen Abschlussball“, wie er die Tournee auch nennt, denn „in dieser Form wird es die Shows nicht mehr geben“. Wie heißt es auf seiner aktuellen Platte? „Jede Show kann die letzte sein.“ Diesmal ist es für ihn das Ende einer Trilogie, die 2014 mit der ersten Stadion-Tour seiner Karriere begonnen hatte. Was danach passiert? „Dann fährt der Abenteurer weiter Richtung neue Horizonte“, sagt er. „Aber erst einmal gibt es die letzte volle Ladung Udopium fürs Panik-Volk.“

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