Róisín Murphy: Die Tanzschuhe zu fest geschnürt

Róisín Murphy, ehemalige Hälfte des Elektronik-Duos Moloko, liefert mit „Overpowered“ eine reine Disco-Platte ab. Und das war’s dann auch schon. Leider!

Den Vorwurf, neuerdings wie Kylie Minogue zu klingen, hat sich Róisín Murphy in jüngster Zeit des Öfteren anhören müssen. Man merkt, wie ihre Gesichtszüge leicht verkrampfen, sie ein Augenrollen unterdrückt und weiter freundlich bleiben will. Doch dann platzt es doch aus ihr heraus: "Ich klinge nicht wie Kylie. Okay, es ist Dance-Musik, aber klingt es deswegen automatisch nach Kylie?"

Sie lächelt. Befreit. Kurz noch mal die Zigarette abaschen und dann zurück in die entspanntere Sitzposition. Ihre kristallklaren Augen blicken amüsiert, auch leicht fordernd, frei nach dem Motto: Mal sehen, was der Typ sonst noch für Vergleiche anstellt.

Eigentlich keine. Auch die Frage nach Minogue sollte kein Vergleich sein. Eher ein Versuch, Murphys neues Album zu verorten. "Overpowered", zu Deutsch: überwältigt, hat sie ihr zweites Werk getauft. Nach dem vor Ideen und musikalischen Stilfetzen überbordenden Solo-Debüt "Ruby Blue" reduzieren sich die elf neuen Songs auf eine simple Botschaft: Tanzen!

Monoton umspülen die zurückgenommenen Elektronik-Beats die eingängigen Melodien. Kleine atmosphärische Synthesizer-Sprengsel und Murphys durchdringendes Timbre, mal hart aus dem Rachen gestoßen, mal scheu von der Zunge gerollt, bewahren die sterilen Viervierteltaktkompositionen vor dem lästigen Stallgeruch der Hupfdohligkeit. Eben jener geschickt kalkulierten Beliebigkeit, mit der sich Kylie Minogue vor sechs Jahren vom einstigen Teeniestar und H&M-Model zu einer der wenigen wahren Stilikonen ihrer Zeit mauserte.

Für jeden Track habe sie mit jemand anderem zusammengearbeitet, sagt Murphy. Eine völlig neue Vorgehensweise für die 34-Jährige. Bis 2003 entwarf sie ihre fragilen Soundstrukturen mit ihrem Lebensgefährten Mark Brydon innerhalb des innovativen TripHop-Duos Moloko. Nach der beruflichen wie auch privaten Trennung verließ sie sich für ihr erstes Solo-Projekt ausschließlich auf Produzent Matthew Herbert. "Die Zusammenarbeit mit Matthew war sehr intensiv, wir haben alle Songs auf ,Ruby Blue’ gemeinsam geschrieben", rekapituliert sie.

Aus dieser systematischen Kreativ-Isolation wollte Murphy diesmal ausbrechen. Für jeden Song heuerte sie einen anderen Produzenten an. Erstaunlich daran ist, dass die vielen verschiedenen Köche Murphy einen zwar schmackhaften, aber eben etwas espritlosen Einheitsbrei eingebrockt haben. Im Booklet finden sich Namen wie Tom Elmhirst, bekannt für den spleenigen Retro-Soul von Amy Winehouse, oder auch die verschollen geglaubte Groove Armada, die für den scheppernden Nachhall auf "Let Me Know" verantwortlich zeichnet, dem einzigen Track des Albums, auf dem der harte Rhythmus wummernd bis in die Lungen vordringt.

"Tanzen war immer wichtig für mich, ich gehe heute noch regelmäßig in Clubs", sagt sie und atmet Zigarettenschwaden aus, als wollte sie die verrauchte Underground-Atmosphäre heraufbeschwören, mit der Manchester in den frühen 90ern zum Mekka für Elektronik- und Rave-Freaks wurde.

Dort lernte die gebürtige Irin 1993 auch Mark Brydon kennen und lieben. Ihre Anmache: "Do you like my tight sweater" (Gefällt Dir mein körperbetonter Pulli?) wurde der Titel des ersten Albums, das Murphy mit ihm als Moloko aufnahm. "Ich hatte nie daran gedacht, zu singen. Ich glaubte auch ehrlich gesagt gar nicht, dass ich das könnte."

Kurzkritik In den späten 90ern kam man in keiner Möchtegern-Szene-Kneipe an den Café-del-Mar-Samplern vorbei, einer regelmäßig wiederkehrenden Zusammenstellung aktueller House-, Ambient- und Trance-Hits, benannt nach dem gleichnamigen Café auf Ibiza. Leicht verdauliche Elektronikspielereien fanden sich darauf, gerne auch tanzbar aufbereitete Remixe von beliebten Alternativesongs wie Bushs "Letting The Cables Sleep". Das Ganze war ein wohlfeiler, letztlich aber flüchtiger Klangteppich im Dienste des Getränkekonsums. Róisín Murphys neues Album hat ähnlich zweifelhafte Qualitäten. Es geht ins Ohr, sorgt zwischenzeitlich sogar für gute Laune, kann aber mit (fast) keinem der Songs einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Highlight Die Groove Armada verhilft dem manischen "Let Me Know" zu cooler Discokugel-Grandezza.

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