Rammstein: Ohne den Esprit früherer Tage

Das sechste Album steht an, aber schon lange wirkt die Provokation der Berliner eher banal als kontrovers. Die einfallslose Single „Pussy“ bestätigt das.

Rammstein fingen bereits an, Musik zu machen, da wurden die Charts noch dominiert von schnödem Euro-Dance mit Protagonisten wie Culture Beat oder DJ Bobo. Der gute alte Rock war damals, Mitte der 90er und kurz nach der Grunge-Ära, in ein kleines Loch gefallen.

Nur der vergleichsweise zarte Britpop bemühte sich eher kläglich um Schadensbegrenzung. Es gab also genug gute Gründe, harte, kompromisslose Gitarrenmusik zu machen. So wie Rammstein.

Fünfzehn Jahre nach Bandgründung darf sich die Band mit Recht als international erfolgreichster deutscher Act aller Zeiten bezeichnen. Nachdem "Du Hast" 1999 den ersten Teil der "Matrix"-Trilogie musikalisch untermalte und vorher auch schon David Lynch in seinen Thriller "Lost Highway" (1997) die Songs "Heirate Mich" und "Rammstein" integrierte, lagen ihnen zuerst die USA und danach die ganze Welt zu Füßen.

Was den Fans im Ausland gefiel, waren die Klischees, die sie lustvoll verkörperten: Athletische, starke Deutsche, dazu die tiefe Stimmlage des Frontmanns Till Lindemann oder das in Deutschland besonders kontrovers diskutierte gerollte R, dessen sich Lindemann grundsätzlich bedient, um seine Texte vorzutragen. Worum es bei jeder Band eigentlich primär gehen sollte, die Musik, geriet dadurch ins Hintertreffen.

Nach ihrem Debüt "Herzeleid" (1995) kam 1997 der Nachfolger "Sehnsucht" auf den Markt und mit ihm der Erfolg. "Engel", die Single mit dem ätherischen Kindergesang, brannte sich sofort in die Ohren der Anhängerschaft.

Der Song stieg bis auf Platz 3 der deutschen Singlecharts. Das Album wiederum wurde mit verschiedenen, künstlerisch ambitionierten Covern veröffentlicht, von den spektakulären Feuershows, die Till Lindemann auf den Konzerten ablieferte, las man nahezu wöchentlich in "Bravo" und "Bild".

Die bis dahin in der breiten Masse ungekannte Mischung aus tonnenschweren Gitarrenriffs und messerscharfen Technobeats entsprach zum Ende des Jahrtausends zwar nicht dem Trend der Stunde, bot aber definitiv etwas Neues. Erfreulich.

Die bekanntlich schnell aufgekommenen Vorwürfe, Rammstein seien Nazis, wurden 1998 durch das Video zu einem der besten Songs der Band, "Stripped" (ein Cover eines frühen Depeche Mode-Stücks), abermals erhärtet. Die Band griff für den Clip zum Song auf Filmmaterial des Riefenstahl-Films "Olympia - Fest der Völker" zurück, das die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin dokumentierte.

Rammstein waren, auch wenn sie sich ständig von diesen Vorwürfen distanzierten, endlich angekommen in den Feuilletons der großen Blätter. Sie wurden heiß diskutiert, auch wenn sie für den Clip größtenteils harsche Kritik einstecken mussten. Selbst Sänger Lindemann zeigte im Anschluss Reue, indem er diese Provokation für "grenzüberschreitend" hielt.

Um die Musik ging es schon lange nicht mehr. Rammstein waren nunmehr bloße Provokateure, zumal die folgenden Alben "Mutter", "Reise Reise" und "Rosenrot" nie wieder die Klasse ihrer Vorgänger erreichten.

Wie es scheint, wird sich dies nicht ändern. Sie haben den Esprit früher Tage längst verloren. Sie wirken vor der Veröffentlichung ihres sechsten Studioalbums, "Liebe ist für alle da", nervös, ausgelaugt und uninspiriert. Wegen vorab ins Internet gespeisten Songs ließen Rammstein ihre eigenen Fans verklagen. Die Geheimniskrämerei hatte Methode: Kein Pressevertreter erhielt im Vorfeld ein Rezensionsexemplar des bereits fertig gestellten Albums.

Nur "Pussy", die erste Singleauskopplung, gibt vage den Weg vor, wird allerdings selbst von eingefleischten Rammstein-Fans als vollkommener Humbug aufgefasst. Vor diesem Hintergrund wirkt die kryptische Eigen-PR der Band auf ihrer Homepage fast trotzig: "Mit Vollgas auf der Autobahn der deutschen Klischees, wo mit Worten wie Bratwurst, Blitzkrieg und Mercedes-Benz dem Nahkampf zwischen den Geschlechtern gehuldigt wird."

Gelobt sei der, der sich daraus einen Reim machen kann. Dass "Pussy" den ersten Nummer-Eins-Hit der Band in den deutschen Charts markiert, passt da irgendwie ins Bild.

Musikalisch innovationslos ziehen es Rammstein abermals vor, mit ihrem äußeren Auftreten und einem schlichtweg banalen Clip statt mit ihrer Musik zu provozieren. Das brachiale Musiktheater Rammstein scheint ein Auslaufmodell zu sein. Bedauerlich.

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