Polarkreis 18: Melancholisch und trotzdem strahlend

Für sein drittes Album ließ sich das Dresdner Sextett Polarkreis 18 von Schuberts „Winterreise“ inspirieren. Sänger Felix Räuber über Falsettstimmen und Romantik 2010.

Düsseldorf. Herr Räuber, Inspiration für das neue Album "Frei" war der wohl berühmteste Liederzyklus der Romantik. Was verbinden Sie mit dieser kulturgeschichtlichen Epoche?

Felix Räuber: Uns sagen romantisch verklärte Themen wie Sehnsucht, unerfüllte Liebe und dieses Rastlose und Leidende extrem zu. Die Liebe zur klassischen Musik hängt auch mit unserer Herkunft zusammen: Dresden ist eine Kulturmetropole. Musikalisch war Schubert allerdings kein großer Einfluss, er ist lediglich der inhaltliche rote Faden. Seine "Winterreise" ist ein Liederzyklus, bei dem jedes einzelne Stück in sich schlüssig ist.

Räuber: Dass wir immer wieder zu diesen romantischen Themen gelangen, liegt vielleicht an der Schnelllebigkeit unserer Zeit. Unsere Songs drehen sich um rastlose Seelen, die sich durch ihr Leben schlagen und am Ende feststellen, dass sie nirgendwo ankommen. Ich glaube, man sehnt sich generell nach emotionalen Motiven, um in dieser Welt seinen Platz zu finden.

Räuber: Ja. Am Anfang hatten wir 42 Stücke zur Auswahl, die wir dann auf zehn reduziert haben. Auf der CD hört man 350 Spuren pro Lied, das Babelsberger Filmorchester und einen Kirchenchor aus Dresden. Dieser Wahnsinn hängt mit unserem Hang zu Pathos und Bombast zusammen.

Räuber: Ich glaube schon. Bei uns ist es aber keine depressive Melancholie. Unser Album ist trotzdem strahlend. Allein der Titel "Frei" ist ein unglaublich starkes Wort, das schon ewig in der Menschheitsgeschichte existiert.

Räuber: In dem Lied "Frei" geht es nicht um Politik, sondern um die Zwänge, die sich durch Freiheit ergeben. Wir leben in einer Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten. Wer sich heute seine Freiheit erkämpfen will, muss nicht mehr wie vor 200 Jahren die Bastille stürmen, sondern tausend verschiedene Institutionen belagern, die zum Teil sehr abstrakt sind.

Räuber: Nein, es ist kein Gegenentwurf. Unsere Musik soll eingängig sein und möglichst viele Leute erreichen. Allerdings mit dem ganz klaren Anspruch, einen Inhalt mit hineinzubringen. Uns ist es wichtig, nicht oberflächlich zu sein. Auch wenn uns wegen unseres großen Hits "Allein, Allein" Ausverkauf vorgeworfen wurde, muss man sagen, dass dieses Lied sehr viel Tiefe hat. Es ist ein Bild für das Alleinsein in einer riesigen Menschenmasse.

Räuber: Selbst innerhalb der Band konnte man sich das anfangs nicht richtig vorstellen. Zeitweise haben wir ganz auf Deutsch geschrieben, das war uns aber zu klar. Wir sind eine Band, die eine gewisse Verklärung, Mystik und Distanz mit sich bringt. Beim Rückübersetzen der Texte ist eine Art Zweisprachigkeit herausgekommen. Diesmal haben wir versucht, die Wortspiele noch stärker herauszuarbeiten und miteinander zu verknüpfen.

Räuber: Sven Helbig kommt von der Klassik. Er hat die Dresdner Sinfoniker gegründet und schrieb für Rammstein die Orchester-Arrangements. Momentan entwickelt er für die Pet Shop Boys ein Ballett. Sven hat uns beigebracht, wie man ein Album nach dem klassischen Drama aufteilt. Deshalb ist unser Anspruch an Inszenierung sehr viel größer geworden. Wir müssen mehr Licht, mehr Kostüme und mehr Menschen mitschleppen.

Räuber: Es macht uns aus - neben anderen Dingen. Auf der neuen Platte habe ich meine Stimme weiter in Extreme geführt, indem ich sehr tief und sehr hoch singe. Manchmal werden wir gefragt, ob es verschiedene Stimmen sind. Nein, ich singe das alles allein. Als ich mal bei "Arte" eine Dokumentation über den Künstler Klaus Nomi sah, war ich sehr beeindruckt. Seitdem arbeite ich mit einem Gesangslehrer daran. Im letzten Lied "Elegie" hört man eine Stelle, die dem Countertenor ähnelt.

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