Milow: Romantiker mit Bodenhaftung

Den Belgier Milow auf seine beiden Radiohits zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. Seine Alben sind bestes Liedermachermaterial im Stile von Dylan.

Brüssel. Die Liste namhafter Musiker aus Belgien ist überschaubar. In den 80ern versuchten sich Front 242 einmal am bleiernen Industrial-Sound und hatten Erfolg, freilich ohne auch nur annähernd an Ikonen wie die Nine Inch Nails heranzureichen.

Jacques Brel war eine Größe auf dem Gebiet des Chansons, ist allerdings schon seit 33 Jahren tot. Und Deus spielten irgendwann einmal eine kleinere Rolle in der Indie-Sparte.

Ansonsten ist es mit den belgischen Musikern wie mit ihren Fußball spielenden Landsmännern: Es gibt sie. Aber jenseits von Ostende im Westen und Lüttich im Osten kennt sie keiner. Bis vor knapp drei Jahren Jonathan Vandenbroeck kam.

Den hätte wohl auch keiner kennengelernt, weil sein Name einfach zu lang ist, um ihn auf eine Platte zu drucken, und zu sperrig, um im Gedächtnis zu bleiben. Deshalb nannte sich der 1981 in Leuven geborene Jonathan Vandenbroeck kurz und knapp Milow. Und beim Namen Milow klingelt’s plötzlich.

Das ist nämlich der, der „Ayo Technology“ gesungen hat. Zwar nur mit seiner Stimme und einer Gitarre. Aber doch so umwerfend, dass bis heute kaum jemand den Song dort verortet, wo er eigentlich herkommt: aus den Reihen der Hip-Hop-Connection um Timbaland, 50 Cent und Justin Timberlake.

Milow machte sich deren mittelprächtigen Kurzzeit-Hit zu eigen. Und der Song wiederum machte Milow aus dem Stand heraus zum aktuell wertvollsten Musik-Export Belgiens.

Manch einer mag bisweilen zwar abwinken und verächtlich vom „Schmuse-Popper“ reden, dessen CDs im Regal der „Kuschelrock“- und „Bravo Hits“-Fraktion stehen, wenn er auf Milow zu sprechen kommt.

Aber jeder, der so denkt, tut dem jungen Belgier Unrecht. Denn was schon sein Erfolgsalbum „Milow“ von 2009 zeigte, das bestätigt die neue Platte „North And South“, die jetzt in den Regalen steht: Milow ist ein respektabler Geschichtenerzähler mit einem unwiderstehlichen Gespür für Harmonien.

Und damit ist er auch gar nicht mehr so weit entfernt vom Adel der sogenannten Singer-Songwriter. Bei Milow vermischen sich nämlich Anleihen an die junge Liedermacher-Generation um Ron Sexsmith, Patrick Watson oder Conor Oberst mit Spuren aus dem Oeuvre derer, die am Anfang dieses Genres standen: Bruce Springsteen etwa.

Und hier und da sogar ein klein wenig Dylan — zumindest vor dessen allzu verkopfter „Blonde On Blonde“-Phase. Natürlich hinkt dieser Vergleich etwas, weil dem jungen Belgier die mit Romantik und Tragik gepaarte Erdung des „Boss“ sowie die überbordende Bildsprache Dylans noch abgehen.

Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Milows Texte mitunter ganz einfach tolle Erzählungen sind, die man genauso hören und genießen kann wie ein gutes Buch.

Damals, auf dem Album „Milow“ — das übrigens seine beiden ersten, nur in Belgien erschienenen Alben „The Bigger Picture“ (2006) und „Coming Of Age“ (2008) für Resteuropa zusammenfasste —, erzählte er etwa von „Canada“ und der Faszination, die die Weite dieses Landes auf ihn ausübt.

Auf „From North To South“ ist nun „California Rain“ sein musikalisches Roadmovie: „I Rush Down The Freeway. I’m Chasing Blue Skies. I’m Startin To Blur The Lines.“ Damals erzählte er die Geschichten seiner Familie und Landsmänner in Songs wie „The Priest“ oder „House By The Creek“.

Jetzt geht es in „The Kingdom“ um Milows politisch tief gespaltenes Heimatland. Das sind keine 08/15-Klischees. Das sind direkte Einblicke in das Innenleben des Jonathan Vandenbroeck — mal glücklich, mal traurig.

Aber immer echtes Leben und daher authentisch. Zudem warten viele dieser zu Liedern gewordenen Einblicke erfreulicherweise mit einem Major-7-Akkord auf der Gitarre auf, mit Blues im Stile von Neil Young oder mit dezenten Elektro-Spielereien.

So klingt keiner, der neben „Kuschelrock“ und den „Bravo Hits“ steht. So klingt einer, der immer schon den Traum träumte, ein Musiker zu werden, dem die Leute nicht nur nebenbei lauschen, sondern richtig zuhören.

Der deshalb drauflos und sich die Finger wund schrieb. Und der seinen Traum schon mit dem zweiten Album erreicht hat. Belgien hat ihn endlich, seinen Star.

Weitere Infos im Internet: www.milow.com

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