MGMT: Die reine Lust am Probieren

Avantgarde: MGMT ist für viele schon jetzt die wichtigste Neuentdeckung des laufenden Pop-Jahres. Dabei wollte das Duo aus New York immer nur für sich Musik machen. Wer’s glaubt!

So zu tun, als sei es im Pop-Business etwas Besonderes, wenn der Erfolg eher unvorbereitet kommt, wäre blanker Hohn. Zu metallen klingt den Deutschen der Pixel-Hase Schnuffel noch in den Ohren, der zu Beginn dieses Jahres geschlagene acht Wochen lang die Spitze der Charts nicht mehr aus den Pfoten geben wollte. Ein Abfallprodukt der Klingeltonindustrie, das mit seiner simplen Botschaft ("Weil ich so gerne kuschel") auf einen breiten Resonanzboden traf.

Wenn Andrew Van Wyngarden und Ben Goldwasser, die künstlerischen Köpfe hinter MGMT, nun behaupten, sie hätten zu Schulungszwecken ein paar schlechte Songs schreiben wollen, klingt das eher nach koketter Legendenbildung als nach wahrheitsgemäß wiedergegebenen Arbeitsabläufen. Klar kann es sein, dass die zehn Songs ihres Debüts "Oracular Spectacular" bloße Fingerübungen sein sollten. Allerdings hätten wir es dann, und das ist keine Übertreibung, mit kleinen Musik-Genies zu tun. Hier schwingt und schwillt und hallt und birst alles, was gängige Töne zu erzeugen in der Lage ist. Ganz zu schweigen von den wundersam flirrenden Melodien, die scheinbar orientierungslos aus dem Ruder laufen, um unbemerkt ihren Weg zurück in kompakte Refrains zu finden. Also nichts mit nebenbei Rumdudeln und dabei gepflegt ein paar Hits auswerfen. Bei MGMT ist alles genauestens ausgetüftelt. Behaupten wir jetzt einfach mal.

Was sie letztlich antrieb, kann ihnen, mit einem sechsstellig dotierten Vier-Alben-Vertrag eines Major-Labels (SonyBMG) in der Tasche, eigentlich auch herzlich egal sein. MGMT sind aber nicht nur plötzlich finanziell abgesichert, sie gehören mit ihren psychedelischen Glam-Rock-Balladen und überkandidelt aufgemotzten Wave-Tracks auch zur Edel-Garde der vielversprechenden Neuentdeckungen des laufenden Pop-Jahres.

Und zu kümmern scheint sie das kein Jota. Auch hier üben sie sich in vordergründigem Understatement. Keinen Kommerz, sondern Kunst wollen sie machen, sich gegenseitig beweisen, dass der jeweilig andere der bessere Musiker ist, wie sie es zu ihren Zeiten als Kommilitonen auf der Weleyan University in Middleton, Connecticut, taten, wo sie sich 2002 kennen und schätzen lernten.

Dementsprechend waren ihre ersten Live-Auftritte, damals noch unter dem Namen The Management, experimentelle Krach-Symphonien, in deren blechernem Nachhall sie sich verloren wie zwei durchgeknallte Performance-Künstler. Es war die reine Lust am Probieren, Austauschen und Umstecken gängiger Pop-Muster. Interessiert hat das damals niemanden. Und auch das Internet, bei vielen Newcomern der vergangenen Jahre ein verlässlicher Bekanntheits-Multiplikator, war ihnen nicht hold. Alles verlief verlangsamt wie der scheppernde Retro-Sound, den sie irgendwann zu ihrem Stil erkoren.

Allerdings höhlt steter Tropfen den Stein. In New York, ihrer späteren Wahlheimat, formierte sich ab 2005 eine treue Fan-Basis, die ihnen zu einer ersten EP und zahlreichen Festival-Auftritten, darunter im Rahmen der renommierten SXSW-Messe im texanischen Austin, verhalf. Vielleicht hat ihnen das sperrige Kürzel des Branchentreffs, das für "South by Southwest" steht, die Idee zu ihrem neuen Bandnamen gegeben. The Management durften sie aufgrund markenrechtlicher Streitigkeiten nicht mehr heißen. Also kürzten sie den Begriff ab und nannten sich fortan MGMT. Das rätselhaft anmutende Akronym ist der letzte Schliff am schillernden Gesamtkunstwerk.

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