Maestro auf Bewährung - Wirbel um Waleri Gergijew

München (dpa) - Zumindest musikalisch schien die Welt wieder in Ordnung zu sein. Der russische Stardirigent Waleri Gergijew, der 2015 Chef der Münchner Philharmoniker werden soll, dirigierte in der Philharmonie in München ein ambitioniertes Strawinsky-Programm - mit der selten gespielten Originalfassung des „Feuervogel“-Balletts als Höhepunkt.

Es gab Riesenjubel nach einer fulminanten Leistung des Orchesters und seines künftigen künstlerischen Leiters. Das muss Seelenbalsam für Gergijew gewesen sein. Denn bei Menschenrechtlern und Homosexuellenaktivisten ist er wegen seiner Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin weltweit in die Kritik geraten.

Und so stand der mit vielen Bravorufen durchsetzte Applaus am Mittwochabend in scharfem Kontrast zu einer Protestaktion mit mehreren Hundert Menschen, zu der die schwul-lesbische Wählervereinigung Rosa Liste aufgerufen hatte. „Keine falschen Töne für Schwule, Lesben und Transgender“ und „Bravo, ein lupenreiner Dirigent!“ war auf Transparenten und Tafeln zu lesen, die den in die Philharmonie eilenden Konzertbesuchern entgegengehalten wurden. Rita Braaz, Organisatorin der Demonstration, forderte Gergijew auf, sich von Putin zu distanzieren und ein eindeutiges Bekenntnis gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben abzugeben. Ansonsten müsse man überlegen, ob der Künstler für die Stadt noch tragbar sei.

Ein Weltstar in der Zwickmühle. Die prekäre Lage des Dirigenten war schon bei einer denkwürdigen Pressekonferenz am Dienstagnachmittag deutlich geworden, in der Gergijew Stellung zu Vorwürfen nahm, er unterstütze die Homosexuellenverfolgung in Russland und ein Gesetz, das seit Sommer „Propaganda“ für Homosexualität gegenüber Minderjährigen unter Strafe stellt.

Gergijew distanzierte sich zwar von einer Äußerung in einer niederländischen Zeitung, in der er einen diskriminierenden Zusammenhang zwischen Homosexuellen und Kinderschändern hergestellt haben soll. Das umstrittene Gesetz freilich will er nicht gekannt haben. Auch Kritik an dem russischen Präsidenten kam nicht über seine Lippen. Im Gegenteil: Gergijew lobte Putins Kulturpolitik.

In der Presse und im Münchner Stadtrat kamen Gergijews Einlassungen tags darauf nicht gut an. Thomas Niederbühl, Stadtrat der Rosa Liste, schimpfte über den „Putinfreund und russischen Staatskünstler“ und meinte, die Stadt habe jetzt „tatsächlich ein Problem“. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) versuchte, die Gemüter zu beruhigen. Einerseits gelte auch für Gergijew „null Toleranz“ in Sachen Diskriminierung. Andererseits könne man nicht von jedem Künstler erwarten, Anforderungen politischer Korrektheit erfüllen zu müssen. „Sonst müsste sich jede italienische Sängerin von Berlusconi distanzieren und jeder Chinese vom Regime“, betonte Ude.

Am Mittwochnachmittag trudelte dann ein Brief Gergijews an Münchens Kulturreferenten Hans-Georg Küppers ein, der für gewisse Entspannung sorgte. Abermals bekannte sich der Dirigent zu den Münchner Grundsätzen gegen Diskriminierung jeder Art. Für Überraschung sorgte sein Angebot, bei einem seiner nächsten Aufenthalte in München das Gespräch mit der schwul-lesbischen „community“ zu suchen. Es könnte schon im Mai 2014 stattfinden. Die Offerte besänftigte ein wenig die Demonstranten vor der Philharmonie. Rita Braaz wagte es gar, von einem Benefizkonzert Gergijews für Schwule und Lesben in München zu träumen. Ein Maestro auf Bewährung.

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