Linkin Park: Mit dem Mut der Verzweiflung

Linkin Park sind die Schublade, in die man sie seit Jahren steckt, endgültig leid und sagen mit ihrem neuen Album „A Thousand Suns“ dem Nu Metal Adieu.

Manchmal kommen Bands an einen Punkt, an dem sie merken: Bis hierhin und nicht weiter. Jedenfalls nicht so, wie bisher. Linkin Park ist eine solche Band. Sie waren die Größten, als sie jung waren. Jetzt stehen sie da - im Angesicht eines Scheidepunktes, an dem Karrieren zerbrechen können - und wollen erwachsen werden.

Die Angst, die sie dabei plagt, ist spürbar. Denn Linkin Parks Wegweiser in die Zukunft ist ein neues Album: "A Thousand Suns". An ihm zeigt sich das Dilemma, in dem diese zigfach mit Grammys und Echos und MTV-Awards ausgezeichnete Band steckt.

Da ist erstens die Tatsache, dass die 15 Songs bis zum Erscheinungstag strikt unter Verschluss gehalten wurden. In den unergründlichen Tiefen des Netzes, in denen Jäger unterwegs sind, denen normalerweise nichts entgeht, war bis auf die Single "The Catalyst" vorab kaum ein Fitzelchen aufzutreiben. Sogar bei Warner, dem Label der Band, hielt sich die Begeisterung darüber in Grenzen: "Das ist eine ausdrückliche Anweisung der Band. Das finden wir auch nicht toll", verriet eine Mitarbeiterin.

Da ist aber zweitens noch vor allem etwas, das sich mit "The Catalyst" schon andeutete, das am Veröffentlichungstag letztlich offenbar wurde und das die übertriebene Verheimlichungspolitik der Musiker erklären könnte: "AThousand Suns" ist so anders als alles, was vorher war. Völlig anders. Keine fetten, dröhnenden Gitarren mehr. Dafür jede Menge Elektronik, Techno-Beats, Drum-Computer.

Wer so etwas veröffentlicht und Linkin Park heißt, der muss geradezu Angst vor den Reaktionen der Hörer haben. Und der muss zwangsläufig die Zukunft fürchten, die jenseits der Wegscheide zwischen Gestern und Morgen wartet. "Die Neigung, konventionelle Songs zu schreiben, kam und ging", lassen Chester Bennington, Mike Shinoda, Brad Delson, David Farrell, Rob Bourdon und Joseph Hahn in den Notizen zum neuen Album verlauten.

Von einem "Werk" und seiner "Vollendung" sprechen sie da. Von einer "herausfordernden Reise ins Ungewisse", die das Einspielen des neuen Albums gewesen sei. "Monatelang hatten wir uns als Band zerstört und wieder aufgebaut." Und auf einmal standen da diese 15 Songs von "AThousand Suns". Frei nach dem Motto: Schaut her! Die alten Brücken sind abgerissen! Wir sind jetzt reif!

Das Gewesene, die Unbedarftheit und die Jugend waren bei ihnen eine Schublade. Auf der stand seit der Veröffentlichung ihres vorzüglichen und wütenden Debütalbums "Hybrid Theory" das Label "Nu Metal". Sie wurden zum Sinnbild für den Zeitgeist einer Generation orientierungslos Heranwachsender rund um die Jahrtausendwende, die der englische Begriff "Teenage-Angst" am besten zusammenfasst.

Doch aus dieser Schublade wollten Linkin Park nun eigentlich schon länger raus. Die Versuche, die sie mit Alben wie "Meteora" (2003) und "Minutes To Midnight" (2007) anstellten, waren allerdings nur halbherzig. Denn Nu Metal ist ein ziemlich undankbares Stigma. Es ist ein Genre, das zwar die ersten Jahre des neuen Jahrtausends ordentlich durchschüttelte, sich im Nachhinein jedoch als Sparte mit dramatisch kurzer Haltbarkeit erwies.

Nu Metal entstand nur, weil die alten, die harten Riff-Götter Metallica, Slayer oder Iron Maiden damals vorübergehend klinisch tot waren. Mittlerweile aber sind sie wieder quicklebendig, und die anderen Bands, die zur gleichen Zeit wie Linkin Park populär wurden - Korn etwa, oder diese zu Rock gewordene Karnevalskapelle Limp Bizkit -, haben wie die sprichwörtlichen Mohren ihre Schuldigkeit getan und sind wieder in der Versenkung verschwunden.

Nur Linkin Park - von den Kaliforniern Shinoda und Delson zur Highschool-Zeit gegründet und lautmalerisch benannt nach dem "Lincoln Park" in Santa Monica - wollen weitermachen. Aber eben nicht so wie bisher. Nicht als "Boygroup des Nu Metal", wie sie in einschlägigen Jugendmagazinen genannt wurden. Nicht als Band, die sich in den vergangenen Jahren stets wiederholte und der die Fachpresse daraufhin nahezu geschlossen Anbiederei an den Mainstream vorwarf.

Nein: Linkin Park wollen alles hinter sich lassen. Dabei nehmen sie anscheinend alle Konsequenzen in Kauf. Auch das Scheitern. Das ist mutig. Und damit ist mindestens die Entscheidung als solche schon einmal verdammt reif und erwachsen.

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