Konzert: Herbie Hancock und Lang Lang - Zwei Stars lassen die Finger fliegen

Ausverkauft! Herbie Hancock und Lang Lang verwandeln die Philharmonie Essen beim gemeinsamen Konzert in eine tobende Arena.

Essen. Herbie Hancock hat sich für diesen Abend in prachtvoll schimmernde Schale geworfen und, passend zur Sommerblütenpracht, zum tief violetten Anzug ein Hemd im Kolorit einer pinkfarbenen Stockrose gewählt.

Lang Lang dagegen sieht, wie immer, im hochgeschlossenen schwarzen Habit einem Mönch ähnlich, der sich dem Dienst an der Musik unterworfen hat.

Beide sind bei ihrem einzigen Konzert in Deutschland in diesem Jahr auf der Bühne der Essener Philharmonie versammelt, Gäste des Klavierfestivals Ruhr.

Und schlagen weit über drei Stunden die Zuhörer in ihren Bann; einmal, mitten in Maurice Ravels "Ma Mère l’Oye", dessen fünf Stücke sie wie Zirkusdompteure zelebrieren, brandet Gelächter auf und Zwischenapplaus.

Keine Frage, dieses Konzert der amerikanischen Jazz-Ikone Hancock (69) und des chinesischen Klassik-Pianisten (27) ist eine Edel-Musik-Unterhaltungssession.

Zweifellos hat das Programm auch Schwächen, die indes nicht die beiden Virtuosen zu verantworten haben.

Wenn etwa der Amerikaner John Axelrod die Neue Philharmonie Westfalen mit dem weichgespülten Dauergrinsen eines TV-Entertainers dirigiert, so ist das weder dem Orchester, noch Mozarts "Figaro"-Ouvertüre oder der am Schluss grausam dröhnend zugerichteten "Ungarischen Rhapsodie" von Franz Liszt bekömmlich.

Zu dick trägt das Orchester, zusammengelegt aus Recklinghäuser und Gelsenkirchener Orchestermusikern, auch beim Konzert für zwei Klaviere und Orchester von Ralph Vaughan Williams (1872-1958) auf.

Doch für das Funkenfeuer gibt’s ja zwei Garanten, und nicht selten hat man den Eindruck, dass sich hier die Jugend vor der grandiosen Lebensleistung eines Altmeisters verneigt.

Und es ist wie ein Traum weltverlorener Intimität und dann auch wieder geradewegs närrisch, wie beide Ravel interpretieren - Hancock diesmal nicht am elektronischen Fender-Rhodes- oder Hohner-Piano, sondern beide am Steinway D -, mit welch weltentrückter Verklärung und Verliebtheit in die Poesie.

Sitzen sie bei Vaughan Williams noch an zwei bäuchlings ineinander gestellten Flügeln, sind sie nun zu vier Händen an einem einzigen verbunden.

Beiden Virtuosen ist an diesem Abend ein Solo eingeräumt. Lang Lang spielt zwei Préludes von Debussy, das erste getupft wie eine chinesische Kalligraphie, das zweite süffig explosiv, da lässt er die Hände horizontal und vertikal fliegen. Hancocks Solo, sein Klassiker "Dancing Dolphins", versetzt das Publikum in einen Rausch atemlosen Hörens.

So muss Musik sein, dass man alles Da-Sein vergisst. Hancock groungt, lässt Melodik und Rhythmik funken. Nichts gibt es mehr außer Musik, wie es für ihn nie etwas anderes geben kann.

Liszts verschwenderischen Noten-Erguss der "Rhapsodie" nutzen beide zu einem musikalischen Comedy-Happening: Gipfeltreffen von Virtuosität, Visionen und Poesie. Tosender Applaus und Gershwin als Zugabe.

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