James Blunt: Nur der Seitenscheitel ist neu

James Blunt bleibt in der Erfolgsspur – wahrscheinlich, weil er auf das immer gleiche Song-Rezept setzt: Mut zum Schmalz!

Es ist eine seltsame Sache mit diesem James Blunt: Der 36-jährige Engländer zählt zweifelsohne zu den erfolgreichsten Solo-Künstlern der vergangenen Jahre. Zahlreiche Brit-Awards, MTV-Awards und Echos zeugen davon.

Sein Debütalbum "Back to Bedlam" war 2005 das erfolgreichste britische Album überhaupt - und das will im Land, in dem fast jeder Rock- und Pop-Trend geboren wird, schon etwas heißen.

Blunt stürmte die Charts. Blunt füllte die großen Hallen. So einer hat doch ein tolles Standing im Musikbusiness, sollte man denken. Ist aber nicht so. Blunt ist zwar Teil des Musikgeschäfts. Aber er gehört nicht dazu. Weil er nämlich ein Gefangener von Stereotypen und Klischees ist, die alles andere als charmant sind - und für die er selber verantwortlich zeichnet.

Veranschaulichen lässt sich das bestens anhand seines ersten und bislang größten Hits "You’re Beautiful". Dieses Lied ist wunderbarer, eingängiger Gitarrenpop von einem, der weiß, wie man einen zu Herzen gehenden Hit schreibt. Aber aufgrund eben dieses Textes, dank des glatt gebügelten Sounds und der hoch trällernden Stimme Blunts trieft er auch bis zum Gehtnichtmehr vor Schmalz. Und dieser überbordende Schmalz wiederum machte 2005 aus einem wunderbaren Lied schnell ein impertinentes Liedchen und veranlasste die Kollegen aus der Szene zum Rundumschlag gegen Blunt.

Als "Lady In Red" des 21. Jahrhunderts etwa bezeichnete Live-Aid-Organisator Sir Bob Geldof die Single und machte Blunt damit wenig schmeichelhaft zum neuen Chris de Burgh, genauer: Schmonzettenkönig der Gegenwart. Das renommierte Musikblatt "New Musical Express" (NME) ernannte "Back to Bedlam", auf dem sich "You’re Beautiful" befindet, trotz der hohen Verkaufszahlen flugs zum schlechtesten Album des Jahres. Und die englische Pop-Ikone Paul Weller ging in die Vollen, als er auf die Frage, ob er sich denn einen gemeinsamen Auftritt mit Blunt vorstellen könne, recht ehrlich und eindeutig antwortete, dass er sich im Grunde nichts Widerlicheres vorstellen könne.

Harter Tobak ist das. Auch für einen wie Blunt, der eigentlich einstecken kann, weil er das Kämpfen quasi in die Wiege gelegt bekam: Der Engländer entstammt einer Familie mit großer Militärtradition und robbte vor seiner Musikkarriere selber im Tarnanzug durchs Gelände. Blunt lernte an der Royal Military Academy, wurde Offizier, war im Kosovo im Einsatz, wo er einen seiner weiteren Hits, "No Bravery", schrieb, und diente der britischen Armee jahrelang als Captain. 2002 quittierte er den Dienst und widmete sich mit Hilfe der Produzentin und Songschreiberin Linda Perry (P!nk, Christina Aguilera) dem Komponieren.

Dieser Kollaboration entsprang neben "Back To Bedlam" mit "All The Lost Souls" (2007) ein zweites überaus erfolgreiches Album. Nun steht mit "Some Kind Of Trouble" Tonträger Nummer drei in den Regalen. Und auch wenn Blunt im Vorfeld vollmundig ankündigte, eine neue, wildere Seite präsentieren zu wollen, wird die Branchen-Häme sicherlich nicht abnehmen.

Im Gegenteil: Geändert hat sich eigentlich nichts, ganz zu schweigen davon, dass eine neue Wildheit erkennbar wäre. Blunts zittrige Falsett-Stimme bettelt "Stay The Night!". Sie fordert das imaginäre weibliche Gegenüber heraus: "So Baby, come over from the end of your sofa!" (Baby, komm aus Deiner Ecke des Sofas raus). Und beschwört: "If time is all I have, I’d waste it all on you" (Wenn Zeit alles wäre, was ich besitze, würde ich sie ganz an Dich verschwenden). Passend zu dieser plätschernden Seichtigkeit trägt Blunt jetzt auch Seitenscheitel statt Zottelfrisur.

Branchenkollegen werden also weiter wettern, die Fachpresse wird weiter maulen. Aber Millionen Menschen werden sich denken: Irgendwie hat Blunt doch recht. Irgendwie spricht er Wahrheiten aus. Irgendwie zeigt er uns in dieser tristen Zeit der Kriege, Hungersnöte und Umweltdesaster die schöne Seite des Lebens. Nicht zu vergessen: die Liebe.

Und insofern wird der ehemalige Soldat Blunt einmal mehr zwar eine ganze Menge Häme vor den Kopf gedonnert bekommen. Aber kämpfen muss er deswegen nicht. Die ungewogene bis missgünstige Hälfte der Menschheit kann ihm ganz einfach egal sein.

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