Interview: Starpianist Stadtfeld - Allein mit dem Monstrum

Der Starpianist Martin Stadtfeld über die Lust an Bachs Kompositionen und die archaische Kraft von Konzerten.

Düsseldorf. "Irgendwann gerät man wirklich in einen Zustand des Deliriums, vergleichbar mit einem Drogenrausch - vermute ich zumindest", sagt der groß gewachsene Mann.

"Das ist das reinste Glück und trägt einen mit sich fort." Hier schwärmt nicht etwa jemand von Koks-Erfahrungen: Martin Stadtfelds "Stoff" heißt Bach.

Mit 22 Jahren gewann Stadtfeld als erster deutscher Pianist den Bach-Wettbewerb in Leipzig. Kurz darauf gab er mit dessen "Goldberg-Variationen" sein CD-Debüt, das ihm in internationalen Medien den Ruf des "neuen Glenn Gould" eintrug.

Inzwischen sucht Stadtfeld auch jenseits von Bach Meriten, etwa wenn er am 22. Oktober beim Gastspiel in Düsseldorf mit den Wiener Symphonikern Beethovens 3. Klavierkonzert spielt.

WZ: Herr Stadtfeld, Sie haben mal gesagt, Bach liege Ihnen gut in den Händen - was liegt denn da?

Stadtfeld (lacht): Bach liegt einem als spielfreudiger Pianist - und diese Lust am Spielen, am Anschlag, am Virtuosen habe ich schon als Kind empfunden. Da sind einem natürlich Sachen näher, die auch aus solch einer Lust am Virtuosen entstanden sind. Und Bachs Werke entspringen eben auch einer unglaublichen pianistischen Meisterschaft.

WZ: Die Lust am Virtuosen vermitteln Sie auch gern Kindern bei Ihren Schulbesuchen. Wie ist es dazu gekommen?

Stadtfeld: Initialzündung war die Reihe "Junge Wilde" im Dortmunder Konzerthaus, an die sich ein Besuch in einer Problem-Hauptschule anknüpfte mit sehr berührenden Erlebnissen. Danach wollte ich etwas von meiner Leidenschaft und Begeisterung weitergeben. Ich bin kein gesellschaftlicher Missionar, aber es macht einfach Freude zu spüren, dass etwas rüberkommt, dass man den Erlebnishorizont der Schüler etwas erweitern kann.

WZ: Ist die Resonanz in den Schulen durchweg positiv oder müssen Sie erst Vorurteile überwinden?

Stadtfeld: Nein, Vorurteile gar nicht. Gerade in Hauptschulen führt der Mangel an musikalischer Vorbildung auch zu einem Mangel an Vorurteilen. Dadurch hat die Situation etwas sehr Unbelastetes: Manchmal verstehen Menschen Dinge tatsächlich besser, solange man sie ihnen nicht erklärt - und solange man ihnen nicht gesagt hat, dass Bach akademisch, kompliziert und sehr trocken ist, verstehen sie seine Musik sehr intuitiv.

WZ: Ließe sich so auch ein neues Publikum in Klassikkonzerte locken?

Stadtfeld: Wenn es gelänge, die klassische Musik wieder mehr in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren, dann würden irgendwann auch wieder alle Altersschichten in die Konzerte kommen. Doch solange die klassische Musik in der Erlebniswelt von Kindern und Jugendlichen keine Rolle spielt, werden diese sich auch als 20- oder 30-Jährige nicht aufraffen, in ein klassisches Konzert zu gehen, denn das kennen sie ja gar nicht.

WZ: Einer großen Popularität erfreuen sich derzeit Klassik-Events - kann das ein Weg sein, wieder mehr Menschen für die Klassik zu gewinnen?

Stadtfeld: Die Leute müssen eigentlich nicht durch solche Events geködert werden - sie sollten vielmehr erleben, wie viel Tiefe und Gefühl sich etwa bei einem Klavierabend in einem Konzertsaal vermittelt. Das hat etwas ungeheuer Archaisches: Da steht dieses Monstrum, und dann geht da ein Mensch allein auf die Bühne, und 2000 Leute hören ihm zu, wie er sich zwei Stunden ganz allein mit diesem Flügel beschäftigt, ohne dass etwas anderes passiert. Gerade heute ist das etwas Wunderbares, sich einer Sache über einen längeren Zeitraum hinzugeben, ohne immer mal E-Mails und Handy zu checken.

WZ: Aber es lassen sich Zehntausende mit diesen Groß-Events locken, wie Anna Netrebko, Lang Lang oder David Garrett zeigen.

Stadtfeld: Das ist für mich ein anderer Beruf, das sind Popkonzerte, die da veranstaltet werden. Und ob dort dann Popmusikhäppchen oder so genannte Klassikhäppchen serviert werden, ist eigentlich egal. Mit der Berufsausübung, wie ich sie sehe, hat das aber nichts mehr zu tun - was eine völlig wertfreie Feststellung ist, denn natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, wie er seinen Beruf sieht und was er gerne tut.

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