Interview: „Noten sind wie Menschen“

Carlos Santana kommt mit seiner aktuellen Platte „Guitar Heaven“ im Gepäck für sechs Konzerte nach Deutschland.

Herr Santana, wie ist es im "Guitar Heaven", im Gitarrenhimmel?

Santana: Das fühlt sich sehr gut an, mit höchster Zufriedenheit den gesamten Garten Eden zu hören. Ich lernte sehr viel über Freude, die eintritt, wenn Angst beiseitegeschoben wird.

Santana: Weil alle Fernsehsender es auf Angst anlegen. Gewalt, Angst, Gewalt, Angst - das ist doch sehr langweilig. Im Leben gibt es viel Schönheit und Anmut. Ich achte auf Wörter von Genies wie Einstein, der sagte, Fantasie ist wichtiger als Wissen.

Mit Fantasie waren Bob Dylan, John Lennon, Marvin Gaye, Miles Davis und Louis Armstrong in der Lage, unsterblich zu werden. Manche setzen auf Angst, wir Musiker auf Liebe und Freude. Sie sind kreativ und mächtig. Das Leitmotiv von Angst ist Suchen, ohne fündig zu werden.

Santana: Ich denke daran, nicht zu denken. Bloß kein maschinelles Denken, ob ich etwa eine B flat 7 spiele oder dieser Song besonders wichtig ist. Denken Sie daran, wie oft Sie ein- und ausatmen? Nein, aber wenn man darüber nachdenkt, ändert sich die Atmung sofort.

Darüber sollte man nur nachdenken, wenn jemand bei Woodstock, bei der Fußball-WM oder kurz vor der Geburt ist. Auf der Bühne atme ich tief ein und habe Vertrauen in das, was ich gelernt habe. Wenn überhaupt, denke ich an saftige Noten.

Santana: Was für ein schönes Kompliment. Ich mag Melodien und bei der Geige können Sie mit dem Bogen einen Ton sehr lange ziehen. Ob Geige oder Trompete: Manchmal muss man einen Ton lange halten, um tiefer darin zu versinken. Es ist so, als ob man jemanden liebt und beim Wiedersehen nach langer Zeit eine innige Umarmung gibt. Noten sind wie Menschen. Manchmal muss man sie besuchen.

Santana: Die Zeiten von damals sind Schwergewichte. Die 60er Jahre waren ein Quantensprung für das menschliche Bewusstsein. Mahatma Gandhi, Malcolm X, Martin Luther King, Che Guevara, Mutter Teresa - die Leute stehen für eine Bewusstseins-Revolution. The Beatles, The Doors, Jimi Hendrix schufen Lieder über Revolution und Evolution. Die Musik ähnelte Dalí, sehr revolutionäre Farben und Sinne. Die jungen Leute von heute müssen da durch, um zu sich selbst zu finden.

Santana: In den 60ern hatten wir auch schon unsere Lady Gagas. Es gibt Musik zur Unterhaltung und es gibt Musik zum Aufmuntern. Keine ist falsch, alles hat seine Daseinsberechtigung. Ob Kiss oder Lady Gaga oder Alice Cooper oder David Bowie oder Elton John: Sie berühren die Herzen der Menschen und sind damit gleich stark.

Santana: Andrea Bocelli, Sting, Prince, Whitney Houston und sehr viele junge Leute, die unbekannt sind. Gemeinschaftsproduktionen gefallen mir sehr. Außerdem grüble ich über ein ganzes Album mit deutscher Polka, die aber unter einem afrikanischen Himmel spielt. Es kommt nur auf die richtigen Gewürze an.

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