Interview: Glenn Dicterow, Konzertmeister des New York Philharmonic

Glenn Dicterow, Konzertmeister des New York Philharmonic, über offene Ohren in Europa und den immer frischen Beethoven.

Herr Dicterow, wie bekommen Sie bei der Kälte Ihre Geige in den Konzertsaal, ohne dass sie für Stunden verstimmt ist?

Dicterow: Das bekomme ich ganz gut hin. Uns holt ein Bus ab, und für das kurze Stück draußen reicht der normale Koffer.

Wenn Orchester mit berühmten Solisten auf Tournee gehen, haben sie meist wenig Zeit, gemeinsam zu üben. Wie war das mit Ihnen und dem Pianisten Lang Lang?

Dicterow: Wir haben schon in New York zusammen gespielt und hatten deshalb eine gute strategische Probe für unser Zusammenspiel. Unterwegs müssen wir uns nun nur noch in die jeweiligen akustischen Gegebenheiten einspielen.

In Deutschland werden die Orchester subventioniert. In den USA müssen sie sich selbst finanzieren, die Tickets sind entsprechend teuer. Merken Sie einen Unterschied beim Publikum?

Dicterow: Wenn die Leute in den USA ein Konzert sponsern, erwarten sie etwas, das nicht so anspruchsvoll ist. Sie wollen lieber Brahms als etwas Zeitgenössisches wie Schönberg — dafür werden wir auch die Karten nur schwer los. Das Publikum in Europa ist deutlich aufgeschlossener. Ich würde mir wirklich wünschen, dass der Staat einen kleinen Teil des Geldes, das Sie für Sport ausgibt, auch für klassische Musik aufbringt.

Ihr Dirigent Alan Gilbert hat die ersten und zweiten Geigen getrennt, sie im Orchester auf die linke und rechte Seite gesetzt. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit als Konzertmeister aus?

Dicterow: Alan Gilbert glaubt, dass der Klang dadurch voller wird. Wir Geiger müssen nun natürlich viel mehr zueinander hinschauen und auch mehr dem Dirigenten vertrauen. Aber das lernen wir schon noch, in anderen europäischen Orchestern wird das ja auch so gehandhabt.

Über die Jahrzehnte spielen Sie manche Standardstücke sehr häufig. Empfinden Sie manches von Beethoven und Brahms mittlerweile nicht als ermüdend?

Dicterow: Oh nein, gerade Beethoven wirkt auf mich immer frisch wie gerade komponiert.

In Ihrer Freizeit spielen Sie unter anderem Tennis. Gibt es auch Aktivitäten, die Sie aus Sicherheitsgründen vermeiden?

Dicterow: Ich schneide keine Brötchen. Dafür habe ich eine Maschine.

Vor zehn Jahren haben Sie Ihre wertvolle Geige von 1727 in einem New Yorker Taxi liegen lassen. Wie konnte das passieren?

Dicterow: Woher wissen Sie das überhaupt? An dem Abend hatten wir nicht wie sonst im Lincoln Center, sondern in der Carnegie- Hall gespielt. Also musste ich meinen Anzug mitnehmen, hatte auch noch eine Tasche und einen Schirm dabei. Tja, da habe ich die Geige im Dunkeln auf dem Boden liegen gelassen. Ich habe es aber gleich gemerkt, fand auch die Taxinummer auf dem Kreditkarten-Beleg — es ist also durchaus sinnvoll, bargeldlos zu bezahlen. Ich war aber sowieso zuversichtlich, dass ich die Geige zurückbekomme, weil der Taxifahrer unterwegs Oper gehört hat.

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