Heimatgefühle: Ben Watts wundersames Comeback

Berlin (dpa) - Mit einem elektronischen Brummton beginnt Ben Watts Solo-Comeback nach 31 Jahren. Doch was dann folgt, ist magischer und sehr britischer Singer/Songwriter-Stoff.

Heimatgefühle: Ben Watts wundersames Comeback
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Der männliche Part des 80er/90er-Jahre-Duos Everything But The Girl hatte zuletzt „die Welt der Clubs entdeckt“ und als DJ mit Spezialgebiet House-Musik gearbeitet, wie er dem „Musikexpress“ erzählte. Insofern hätte man annehmen können, dass elektronische, tanzbare Musik auch auf diesem ersten Ben-Watt-Album seit 1983 eine Hauptrolle spielen würde.

Doch „Hendra“ (Unmade Road/Caroline) überrascht - und das bei weitem nicht nur stilistisch, sondern vor allem auch in qualitativer Hinsicht - mit einem warmen, aufgeräumten, oft sehr berührenden Folk-Jazz-Sound. Die Platte gehört damit zum Schönsten, was in diesem Frühling - den Watt im dritten Track „Spring“ emphatisch besingt - auf dem Popmarkt erscheint.

Mit seiner Freundin Tracey Thorn hatte der mittlerweile 52-Jährige in den 80ern einige noble, mit Samba, Jazz und Folk versetzte Pop-Platten in der Nähe von The Style Council oder Aztec Camera veröffentlicht. Den ganz großen Erfolg erlebten Everything But The Girl dann allerdings erst Mitte der 90er mit einem House-Remix ihres Songs „Missing“.

Auf der Dancefloor-Schiene war das Duo noch ein paar Jahre unterwegs, ehe man sich mit gemeinsamen Kindern, Thorns gelegentlichen Solowerken und Watts Club-Ausflügen harmonisch einrichtete. „Gegen Ende der 90er Jahre hatte ich diese ganze Geschichte mit Worten und Liedern und Mainstream und Tourneen zum neuesten Album satt“, sagt Watt. Doch dann kam das Buch „Romany and Tom“, das er über seine Eltern schrieb. Und schließlich „Hendra“, was im Cornwall-Dialekt so viel wie „Heimat“ heißt und das übergreifende Thema der Platte definiert.

Fans „erwachsener“ Songwriter-Musik können sich glücklich schätzen, dass Ben Watt den Weg zum ambitionierten Lied mit klugem Text wiedergefunden hat. „The heart is a mirror where it's easy just to see Yourself“ singt er zu Gitarre, Standbass und Keyboard am Schluss dieses in Berlin und London aufgenommenen Albums. Der Song über Eifer- und Eigensucht endet versöhnlich, mit der Zeile „Open Your arms tonight“.

Ein anderes dieser betörenden Lieder ist die tieftraurige Piano-Ballade „Matthew Arnold's Field“, die Watt seiner viel zu frühen gestorbenen Schwester widmet. „Forget“ und „Nathaniel“ sind swingende Folkpop-Perlen, bei denen sich die bratzende E-Gitarre von Produzent Bernard Butler (Ex-Suede) aufs Angenehmste bemerkbar macht. „Young Man's Game“ verströmt die gelassene Melancholie eines mittelalten Mannes, in „The Levels“ hat Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour einen dezenten Gastauftritt.

Viel Klavier ist auf „Hendra“ zu hören, und in „Golden Ratio“ auch der Latin-Jazz-Einfluss, den man schon von Everything But The Girl kannte. Während Ben Watt bei den Platten des Duos aber nur selten und gar nicht besonders eindrucksvoll sang, ist seine reife, mittlerweile voll- und wohltönende Stimme eine weitere Überraschung dieses unverhofften Comebacks.

Er habe eigentlich „immer ein Problem gehabt“ mit seinem Gesang, bekannte Watt im „Musikexpress“-Interview. „Wenn ich ans Mikrofon trat und meine Lieder sang, geschah das nie ohne eine gewisse Beklommenheit. Als ich Lust bekam, neue Songs zu schreiben, ging ich jeden Abend in den Keller und sang einfach so dahin. Ich wollte meine Stimme lieben lernen. Und siehe da, es funktionierte.“ Wohl wahr.

Mag die neue Beck-Platte mit ihren prächtigen Westcoast- und Britfolk-Klanggemälden auch der größere Kritiker-Hit dieses Frühjahrs sein - das Heimat-Album von Ben Watt ist alles in allem noch besser. Ein Wunderwerk feinster Singer/Songwriter-Kunst.

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