Haydn, der bescheidene Musik-Revoluzzer

Zu seinem 200. Todestag erscheinen alle berühmten Streichquartett-Aufnahmen neu.

Düsseldorf. Die Musik des Joseph Haydn (1732-1809) kommt so feinsäuberlich daher, als könne sie kein Wässerchen trüben. Dabei revolutionierte der Niederösterreicher die Musikgeschichte nachhaltiger als Mozart oder Beethoven.

Haydn ist der älteste Komponist der Wiener Klassik und schuf Streichquartette, Sonaten und Symphonien, die sich später als formale Prototypen erweisen sollten. Bei "Papa Haydn" gingen alle nachfolgenden Symphoniker in die Schule, und selbst ein Form-Genie wie Johannes Brahms fühlte sich dem großen Klassiker immer etwas unterlegen.

Haydn gilt als Erfinder des Streichquartetts, auch wenn die Besetzung (zwei Violinen, Bratsche und Cello) bereits im Barock bekannt war. Doch Haydn machte diese Besetzung zu seinem Experimentierfeld und wurde zum Streichquartett-Komponisten schlechthin.

Das Thema im Variationssatz des "Kaiserquartetts" C-Dur op. 76 Nr. 3 ist heute eher geläufig als die Melodie der deutschen Nationalhymne. Für Haydn war die Quartettbesetzung derart vollendet, dass er sogar seine Passionsmusik, "Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze", für vier Streichinstrumente komponierte.

Eine Pioniertat des 20. Jahrhunderts ist die Gesamtaufnahme der Haydn-Quartette durch das in London gegründete Aeolian String Quartet. Dieses aus den 70er Jahren stammende Tondokument schrieb Schallplattengeschichte.

Nun kommt die Einspielung der mehr als 70 Haydn-Werke auf 22 CDs in einer preiswerten Box wieder auf den Markt. Die Aeolians zeichnen sich durch einen lyrischen Interpretationsansatz aus. Virtuose Effekte oder expressive Eskapaden sind den vier englischen Musikern fremd. Das Zusammenspiel wirkt durchgehend so homogen und in sich geschlossen, als sei nur ein einziger Musiker am Werk.

Wem 22 CDs zu viel der Silberscheiben sind, könnte sich für die Haydn-Box des ebenfalls in London, aber von Wienern gegründeten Amadeus-Quartetts interessieren. Auf zehn CDs vereinen sich Haydns berühmteste Streichquartett-Kompositionen, darunter ebenfalls die "Sieben letzten Worte" und das "Kaiserquartett".

Das Amadeus-Quartett erfreut sich eines etwas größeren Ruhmes als die Aeolians, hat aber eben Haydns Quartette nicht ganz vollständig vorgelegt. Im Vergleich mit dem Aeolian Quartet wirkt das Amadeus-Ensemble expressiver und leidenschaftlicher, wenngleich nicht minder nobel und akkurat. Die vergleichsweise gemäßigten Tempi sind bei beiden Quartettformationen ähnlich. Junge Ensembles wie die Emersons oder das Artemis-Quartett spielen ein paar Spuren schneller. Doch kaum eine Musikgruppe kommt dem Haydn-Geheimnis näher als das Amadeus-Quartett.

Haydn: The complete String Quartets, The Aeolian Quartet, 22 CDs. Decca Haydn: Amadeus Quartet, 27 String Quartets, 10 CDs. Deutsche Grammophon

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