„For me, formidable“: Aznavour singt in Berlin

Berlin (dpa) - Nein, bitte, keine Glückwünsche, macht Charles Aznavour gleich zu Beginn klar. Die Zuhörer haben noch versucht, dem französischen Chansonstar zum 90. Geburtstag mit einem Ständchen zu gratulierten.

„For me, formidable“: Aznavour singt in Berlin
Foto: dpa

Doch Aznavour wehrt mit einer knappen Handbewegung ab.

Nicht hier, nicht jetzt, das Leben ist zu kostbar, zu kurz, um es noch mit Sentimentalitäten zu belasten, will er wohl sagen. Dann winkelt er den linken Arm an, zieht mit dem rechten das Mikrofon an sich - Aznavour ist zurückgekehrt, acht Jahrzehnte Showgeschichte stehen am Donnerstag im Lichtkegel der O2 World Arena in Berlin.

„Nur ein Abend“ hat Aznavour sein Comeback genannt, auch wenn er an diesem Samstag noch zu einem zweiten Deutschland-Konzert in Frankfurt/Main erwartet wird. Doch Aznavour wäre nicht Aznavour, wenn er seine Zuhörer nicht spüren lassen wollte, dass dies ein einmaliger Moment sei und er jetzt ganz für sie da ist in dieser Riesenhalle, die wie ein kleiner Salon wirken sollte.

„Ich fühle mich wie 20“, sagte er aber doch noch in Anspielung an diesen besonderen Tag und stimmt auf Französisch „Hier encore“ an, gestern noch, als er tatsächlich 20 war und sich Zeit mit Dummheiten vertrieb. Heute seien all die Liebesgeschichten vorbei, die Freunde nicht mehr da. Nur kurz schimmert im Chanson etwas von der Melancholie durch, die wohl jeden Menschen am Tag seines 90. Geburtstags berühren dürfte.

Der zierliche Mann in schwarz wird dann ganz groß. Aznavour ist vor allem in die Bühne verliebt, auch wenn er sagt, er sei „nur ein Varieté-Künstler“. Der Sohn armenischer Eltern, der am 22. Mai 1924 in Paris zur Welt kam, steht dort seitdem er ein Junge ist. Er hat sich mit seiner „undankbaren Stimme“ durchgebissen, mit seinem schauspielerischer Stil hat er im coolen Paris nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst einige Probleme, vielen kommt er gekünstelt vor.

Edith Piaf hört und engagiert ihn 1946 für eine Tournee und gibt den Impuls für die Weltkarriere. Aznavour schreibt mehr als 1200 Titel, er hat Hunderte davon im Repertoire, Dutzende werden Hits. Auch fürs Kino wird Aznavour entdeckt. François Truffaut, Claude Chabrol oder Volker Schlöndorff stellen ihn mit seinem markanten Gesicht vor die Kamera. Später lässt er seine armenischen Wurzeln aufleben, reist nach Eriwan, wo er heute als Nationalheld gefeiert wird.

Knapp zwei Stunden stimmt Aznavour in Berlin seine Balladen an, ein Regiestuhl bleibt eine Requisite. Erst nach 40 Minuten setzt er sich kurz, doch meistens steht er, schlägt den Rhythmus oder raunzt in gespielter Ungeduld einen Musiker an.

Die Menschen auf den Tribünen, die mit Aznavour älter geworden sind, haben seine Hymnen auf die Liebe und ihre Verwerfungen herbeigesehnt, etwa „She“ oder „Du lässt Dich gehen“. Sie schwelgen mit Aznavour in der Erinnerung an das alte Montmartre in „La Bohéme“ oder an Venedig in grau („Que c'est triste Venise“). „Wir können die Zeit nicht anhalten“, sagt er auf Englisch. Hier stemmt sich ein alter Mann gegen das Altern - und blickt dem Unvermeidlichen mit viel Poesie direkt in die Augen.

Doch Aznavour kokettiert auch gerne und gesteht dann, dass er die Texte von drei Bildschirmen abliest. „Ich bin nicht der einzige im Showbusiness, der das macht - aber vielleicht der einzige, der es zugibt“, sagt er und macht sich dabei älter, als er in Wirklichkeit ist.

Und immer, wenn es zu ernst zu werden droht, dreht er den Spieß um, wettert etwa mit „Mein Freund, mein Judas“ gegen korrupte Politiker und den Verrat. Am Ende wird er mit Blumensträußen überhäuft. Ein letztes Mal tänzelt Aznavour dann über die Bühne und seine 3500 Fans in der Arena wissen: Es ist „for me, formidable“.

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