FKA Twigs: Ein sanftes Soul-Schmeicheln

Tahliah Barnett veröffentlicht mit „LP1“ eines der elegantesten Alben des Jahres. Der Klang der Britin, die sich FKA Twigs nennt, ist anspruchsvoller, vielschichtiger R’n’B.

FKA Twigs: Ein sanftes Soul-Schmeicheln
Foto: Dominic Sheldon

Düsseldorf. Aufgewachsen ist Tahliah Barnett in Gloucestershire im Südwesten Englands. In einer Gegend, die von Schafherden und sattgrünen Weideflächen geprägt ist, suchte sich die junge Frau früh Bezugspunkte außerhalb der ländlichen Idylle. Die karibische Community des Orts wurde zum Lebensmittelpunkt des Teenagers. Dort kam die Tochter eines jamaikanischen Vaters mit unterschiedlichsten Rhythmen in Berührung und lernte erste Tanzschritte. Mit 17 schließlich folgte der Umzug nach London — Barnett war bereit, ihre Karriere als Tänzerin zu starten.

In kürzester Zeit gelang es ihr, zu einer vielbeschäftigten Background-Tänzerin für Musikvideos zu werden. Bereits mit Anfang 20 wurde sie regelmäßig für die Produktionen von Superstars wie Kylie Minogue, Taio Cruz oder Ed Sheeran gebucht. Damals entstand auch der Spitzname Twigs, der auf das Knacken ihrer Knochen anspielt. Zudem entwickelte die Künstlerin neben ihrem Tanz eine weitere Leidenschaft: das Musikmachen.

Nachdem Barnett 2012 ihre erste EP in Eigenregie veröffentlicht hatte, wurde das britische Independent Label Young Turks auf sie aufmerksam. Neben The XX sind hier auch SBTRKT und John Talabot unter Vertrag. Die Label-Macher schätzen ungewöhnliche Klänge, aus analogen und digitalen Einflüssen gemischt, und waren daher schnell Feuer und Flamme für den Sound von Tahliah Barnett, die mittlerweile ihren Künstlernamen FKA Twigs gefunden hatte. Die Abkürzung vor ihrem Spitznamen steht dabei für „Formerly Known As“, um Streitigkeiten mit einem anderen Musiker namens Twigs auszuschließen.

Ihr Debütalbum nennt die Britin schlicht „LP1“. Sie entwirft darauf einen Klangkosmos, der minimalistisch und intim, aber nie zu reduziert ist. Auf ein Grundgerüst aus warmen Beats schichtet FKA Twigs weiche, anschmiegsame Melodien. Selbst die kleinsten Details, etwa einige wiederkehrende Klick-Sounds, erhalten ihren Raum um zu wirken. Dazu entfaltet sich Barnetts beeindruckende Stimme, die ein sanftes Soul-Schmeicheln mit technisch versiertem Ausdruck verbindet und daher nicht selten mit Janet Jackson verglichen wird.

Die Einflüsse dieser Musik sind vielfältig. Jazz-Klassiker wie Ella Fitzgerald oder Billie Holiday liebt FKA Twigs nach eigener Aussage seit Kindertagen. Außerdem spielten die New-Wave-Acts Adam Ant und Siouxsie And The Banshees eine wichtige Rolle in der musikalischen Entwicklung der Künstlerin. Besonders das schillernde Auftreten dieser beiden Acts scheint einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben: Die Besonderheit der Musik spiegelt sich im außergewöhnlichen Styling der Britin wider. Im April brachte sie das sogar in die „Vogue“. Auch das Video zur sommerlich entspannten Hit-Single „Two-Weeks“ ist ein visuell opulentes Werk und zeigt die junge Frau als Ehrfurcht gebietende Pharaonen-Prinzessin.

So extrovertiert ihr Auftritt ist, so bodenständig sind die persönlichen Wünsche der 26-Jährigen: „Was mich glücklich macht, ist, einen schönen Tag mit meiner Mutter verbringen zu können. Oder, wenn ich mich in einer Sache verbessere, an der ich schon lange hart arbeite“, verriet sie dem US-Musikmagazin „Pitchfork“. Sich vollkommen auf eine Sache zu fokussieren, bedeutet harte Arbeit: „Ich liebe meine Musik. Daher möchte ich sie schreiben, produzieren und ihr dienen.“

Die Autodidaktin zeichnet für sämtliche Texte und den Großteil der Musik auf „LP1“ verantwortlich. Unterstützung erhielt sie von drei anerkannten Fachleuten: Neben Dev Hynes (Blood Orange) und Adele-Produzent Paul Epworth half Arca, der zusammen mit Kanye West an „Yeezus“ arbeitete. Dennoch: Alle Fäden laufen in den Händen der Künstlerin zusammen. In einem Interview mit dem Popkultur-Magazin „Intro“ erklärte Barnett ihre Arbeitsweise: „Ein Kontrollfreak bin ich nicht. Aber ich muss schon zugeben, dass ich gerne alles im Griff habe.“ Wann immer es zu einer Diskussion komme, sei ihr Argument: „Es ist mein Name, der draufsteht.“

„Dass ich mich nicht fremdbestimmen lasse, gibt mir viel Freiheit. Aber es bedeutet auch: Wenn etwas schiefläuft, habe ich mir das selbst vorzuwerfen“, sagt die Künstlerin nachdenklich. Eine reife Einstellung für eine Debütantin. Zusammen mit Künstlern wie Frank Ocean oder Janelle Monáe ist FKA Twigs im Begriff, eine neue Generation von R’n’B zu bilden.

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