Europa sucht den Sommerhit - Avicii dominiert

Baden-Baden (dpa) - Weck doch bitte mal einer den Mann auf! Seit Wochen klagt der schwedische DJ Avicii „Wake me up“ - und kein Strandradio oder Ferienclub ist vor ihm sicher. Ergebnis: Seit dieser Woche ist der Song von Media Control zum Sommerhit des Jahres ausgerufen worden.

Das Lied sei in der aktuellen Sommerwetterwelle seit drei Wochen auf Platz eins der Charts, gut tanzbar und verbreite gute Stimmung, sagt Ralph Schmucker von Media Control. „Das sind alles Kriterien, die einen Sommerhit ausmachen.“

Hinzu kommt, dass das Lied in Europa vorne in den Hitlisten steht. Wer sich einmal quer durch die Charts des Kontinents klickt, der hört sofort, dass schnelle Dance-Beats und einfache Songtexte auch in diesem Jahr gut funktionieren - aber auch regionale Künstler schaffen es überall in die Hitlisten.

In den Niederlanden und im flämischen Teil Belgiens sorgt beispielsweise ein DJ namens Bakermat für Aufsehen. Sein Song „Vandaag“ („Eines Tages“) nutzt ein Stück Zeitgeschichte: die vor 50 Jahren von Martin Luther King gehaltene Bürgerrechtsrede „I have a dream“. Nicht ganz so bedeutungsschwer geht's in Frankreich zu. Dort beweist Stromae, dass sein „Alors on danse“ keine Eintagsfliege war und singt jetzt genauso getrieben „Papaoutai“ - eigentlich ein Verstoß gegen die Sommerhit-Definition von Media Control. Demnach stammen die Strandhits üblicherweise von Newcomern.

„Nehmen Sie Lou Bega, O-Zone oder auch Alexandra Stan. Und: Oft hat man hinterher auch nichts mehr von denen gehört.“ Damit passt auch ein aktueller Hit in Schweden nicht ganz ins Raster. Dort singt die auch in Deutschland seit einigen Jahren bekannte Dance-Sängerin Medina von „Miss Decibel“.

Ebenfalls kein Newcomer ist der Spanier Juan Magan. Er feiert gerade mit seinem Song „Mal de Amores“ große Erfolge. Tanzbar ist der Titel mit Akkordeon und Discobeat auf jeden Fall, zudem transportiert er ordentlich Urlaubsstimmung. Die Chancen sind gar nicht schlecht, dass Magan es auch in die deutschen Hitlisten schafft, denn viele Lieder aus den Ferienregionen kommen mit einiger Verzögerung auch zu uns, erklärt Schmucker. „Die Urlauber nehmen sich ihr Gefühl mit nach Deutschland.“ Passend wäre da vielleicht auch ein Song aus der aktuellen Schweizer Top 5, gesungen von einer Combo namens Remady und Manu-L. Er heißt schlicht „Holidays“.

Wer aber nun glaubt, dass die gesamte Chartsware immer schneller wird, irrt. Forscher der Freien Universität Berlin haben bei Top-40-Songs aus fünf Jahrzehnten US-Chartsgeschichte überprüft, ob diese in Dur oder in Moll geschrieben wurden und wie viele „Beats per Minute“ sie haben, also wie schnell sie sind. Während die 1960er-Jahre von schnellen Dur-Songs mit fast 120 Beats pro Minute geprägt waren, dominierten im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts bis 2009 Moll-Lieder. Die Schlagzahl lag nur noch bei 100 Beats pro Minute, noch langsamer waren nur die 1990er-Jahre. „Das hat mich auch zuerst überrascht“, sagte Forscher Christian von Scheve im WDR-Interview. „In den USA aber war das der Zeitraum, wo sehr viele R'n'B- und Hip-Hop-Stücke in die Charts kamen.“

Wir leben also doch in ruhigeren Zeiten als früher. Und noch einen Tipp haben die Experten für die Hörer parat, die am neumodischen Sommer-Dance-Gehampel verzweifeln: einfach auf Weihnachten warten. „Im Sommer bringen sich die Leute eher was Neues aus dem Urlaub mit, im Winter werden oft ältere Hits wieder gehört“, sagt Schmucker. „Dann gibt's auch wieder Melanie Thornton und Wham mit "Last Christmas" im Radio.“

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