Eine unheilige Messe in Moll

Das kanadische Musikerkollektiv Arcade Fire zelebriert in Köln seine hysterischen Lieder von Angst, Schmerz und Dunkelheit.

<strong>Köln. Ein echter Prediger braucht keine Kirche. Er kann seine Botschaft auch in einer öden Fabrikhalle verkünden und erreicht dennoch die Herzen seiner Schäfchen. So tat es der sakralen Stimmung kaum einen Abbruch, dass die kanadischen Wanderprediger von Arcade Fire am Mittwoch nicht in einem Gotteshaus ihre Andacht hielten, sondern im eigentlich tristen Palladium. Ihre Neonbibel hatten sie mitgebracht, sie leuchtete im Bühnenhintergrund und lud aufgeschlagen dazu ein, ein Weilchen in ihr zu blättern, um all jene Geschichten von Angst, Schmerz und Dunkelheit zu hören, die dieses Musikerkollektiv so bekannt gemacht haben. Man kann fast von einer Minimalbesetzung reden, wenn die Freunde aus Montréal wie in Köln zu elft auf der Bühne stehen. In ihren ausgebeulten Anzügen erscheinen sie wie fahrende Zirkusleute, stürzen sich sogleich auf alles, was Töne macht - Akkordeon, Geigen, Bass, Gitarren, Melodica, Schlagzeug, Kontrabass, Glockenspiel, noch ein Bass und natürlich die obligatorische Orgel. Videobilder flimmern über die Leinwand. "Keep The Car Running" und "No Cars Go" sind die ersten Lieder der unheiligen Messe in Moll. Überzeugend, aber noch sucht man dem eigenartigen dunklen Zauber, der die Songs von Arcade Fire umweht. Als die Band um das Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne 2005 mit ihrem Album "Funeral" auf der Bildfläche erschien, traf sie mit dieser rauschhaften Mixtur aus Motown, Folk, Zirkusorgel, Chanson und Hysterie mit voller Wucht ins Herz der Fans. Lange schon hatte keine Band mehr so aufrichtig gerührt. Sie sangen einfach vom Leben. Von Hochzeiten, Todesfällen und auch Nachbarschaft. Auf das Essentielle folgte mit "Neon Bible" schließlich das Existentielle. Die singende Glaubensgemeinschaft der Ungeliebten schert sich wenig um Coolness. Ihr Vokabular klingt fast alttestamentarisch: "Darkness", "Pain" und "Fear" beherrschen die Strophen. Doch keine Angst, Trost wartet hinter dem nächsten Ton. Halleluja.

Himmlische Chöre jubilieren zu einer düsteren Kirchenorgel

Die Musiker derwischen derweil über die Bühne, agieren irgendwie völlig durchgeknallt und veranstalten einen wilden Zinnober, dass man schon mal den Überblick verlieren kann. Es geht Schlag auf Schlag: Furcht und Trauer. Liebe und Hoffnung. Tod und Teufel. Wahnsinn und Verdammnis. Himmlische Chöre jubilieren zu einer düsteren Kirchenorgel. Mit ungebremster Leidenschaft schreien Arcade Fire ihre Botschaft zuweilen hysterisch heraus. Wie etwa beim schaurig-schönen "Intervention": "Working for the church while your life falls apart / Singin’ Hallelujah with the fear in your heart / Every spark of friendship and love will die without a home." Freundschaft und Liebe, alles ist nichts ohne ein Zuhause. In einem Donnerhall gehen die letzten Worte warnend unter und dann ist sie da, die Gänsehaut, die sich zentimeterdick auf den Armen wölbt. Es sind vor allem die Songs des ersten Albums, die an diesem Abend verzücken und die Fans immer wieder zum Mitsingen animieren. Und so geht die Messe in einer Woge aus Klatschen und Chorälen so glückselig zu Ende, dass man auf der Stelle seine Sachen packen und Teil dieser singenden Großfamilie werden will. Arcade Fire indes haben ihre Mission erfüllt und sicher ein paar Seelen gerettet.

Arcade Fire

Die Band Arcade Fire wurde 2002 von Win Butler gegründet. In der jetzigen Besetzung spielt die Band seit Ende 2003, als das erste Album "Funeral" aufgenommen wurde. Derzeit gehören sieben Musiker fest zur Band.

Themen Der Tod war das zentrale Thema auf "Funeral", weil damals neun Menschen aus dem Umkreis der Bandmitglieder starben. "Neon Bible" (2007) kreist um existentielle Ängste und wurde in einer alten Kirche aufgenommen.

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